Kardinal vor La Rochelle
zu entziehen. Deshalb hat Ludwig, wenn ich Euch daran erinnern darf, sie am fünfzehnten
August 1627 zu ›Rebellen, Verrätern und Abtrünnigen ihres Königs‹ erklärt, ›zu Deserteuren des Vaterlands, schuldig des höchsten
Majestätsverbrechens‹. Trotzdem hat er sie nicht sofort angegriffen. Wißt Ihr nicht sehr gut, Madame, daß es die Rochelaiser
waren, die ohne Rücksicht auf das Leben ihrer Frauen und Kinder diese einer furchtbaren |162| Belagerung aussetzten, indem sie gegen die königliche Seite den ersten Kanonenschuß abfeuerten? Muß ich Euch, Madame, denn
ins Gedächtnis rufen, daß die Enkel, die Urenkel sogar, bis ins siebente Glied büßen für die Sünden der Väter?«
»Monsieur«, entgegnete sie, gleichsam erstaunt und entrüstet, daß ein Papist es wagte, sich gegenüber einem Protestanten auf
die Bibel zu berufen, »über die Buße des schuldigen Vaters und seiner Nachkommenschaft entscheidet allein der Herr.«
»Davon bin ich überzeugt, Madame. Doch wie kann man im vorliegenden Fall den Willen des Herrn erkennen, bevor die Belagerung
nicht zu Euren oder zu unseren Gunsten beendet ist?«
Diese Berufung auf die biblischen Strafen schien Frau von Rohan um so mehr zu verwirren, als sie keineswegs erwartet hatte,
daß ich die Ablehnung des Königs im Namen ihrer eigenen Glaubenssätze rechtfertigen würde. Vielleicht hatte sie, als sie ihr
Gesuch stellte, sogar mit einer Ablehnung gerechnet, um dann die ganze Schuld dem König zuzuschieben, wenn ich Ludwigs Entscheidung
mit den zynischen Notwendigkeiten des Krieges begründet hätte, nach denen der Belagerer kein Interesse hatte, den Belagerten
um unnütze Mäuler zu erleichtern, was die Belagerung nur verlängern würde.
Obwohl dieses Argument genauso gültig war wie das von mir angeführte, hatte ich es aber nicht benutzen wollen, damit man nicht
sagen könne, der König sei ohne Mitleid. Doch leidenschaftlich, wie Frau von Rohan war, beachtete sie diese Nuancen überhaupt
nicht, und als sie sich nach der ersten Überraschung faßte, nahm sie eine verächtliche Miene an.
»Aber hört doch! Krieg gegen Frauen und Kinder führen, ist das nicht Grausamkeit im höchsten Grade?«
»Madame«, sagte ich, »so sind Belagerungen einmal! Wenn Euer edler Herr Sohn eine katholische Stadt im Languedoc belagert,
ist er zu derselben Grausamkeit gezwungen, so mitfühlend sein Herz auch sei.«
Diese Bemerkung traf Frau von Rohan aus zwei Gründen. Zum ersten, weil sie darauf keine Antwort hatte, vor allem aber, weil
es um ihren ältesten Sohn ging, dem sie vor ihren anderen Kindern den Vorzug gab. Anne hingegen wandte still lächelnd den
Kopf ab, so als hätte sie einige Veranlassung, den |163| regierenden Herzog durchaus nicht zu lieben, wie es Brauch und Gesetz dieser mächtigen Familie befahlen.
»Graf«, sagte Frau von Rohan, ein kleines Blitzen in den Augen, »da der König mein Gesuch abgelehnt hat, meine ich, nähert
sich unser Gespräch dem Ende.«
Sie sagte indessen nicht, daß es beendet sei, und schien keine Eile zu haben, uns zu verabschieden. Vielleicht fand sie an
diesem Besuch zweier Edelleute in der trüben Einförmigkeit ihres Daseins doch einiges Vergnügen.
»Madame«, sagte ich, »beliebt mich noch weiter anzuhören, denn der König möchte Euch durch mich ein Euch betreffendes Angebot
unterbreiten.«
Hierauf wurde sie sehr zugänglich, doch bevor sie zustimmte, rief sie ihren Majordomus und ließ sich ein Kissen hinter den
Rücken schieben, der sie, wie sie sagte, sehr schmerze. Während sie beschäftigt war, sich bequemer einzurichten, sah ich auf
Mademoiselle de Foliange und Nicolas. Ihre Blicke waren so ineinander verflochten, daß man sich fragte, wie sie sich voneinander
lösen sollten, wenn Nicolas mit mir diesen zauberischen Ort verlassen mußte. Wahrscheinlich dachte Mademoiselle de Foliange,
eine gute Fee werde kommen und sie mit ihrem Stab unsichtbar machen, damit sie sich ungesehen hinter Nicolas auf die Pferdekruppe
schwingen und mit ihm in jene Gefilde der Liebe fernab des Krieges entschwinden könne, die ihre Blicke einander verhießen.
»Graf«, sagte Frau von Rohan, »Ihr seid ein höflicher Edelmann und so gut anzusehen, daß ich Euch gern bis heute abend lauschen
würde, hätte ich nicht meinen Verpflichtungen zu genügen. Um zwölf Uhr erwarte ich den Besuch des Stadtrats. Doch ist es bis
dahin noch Zeit. Bitte, redet.«
»Madame«, sagte ich, »der König
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