Kardinalspoker
»Eines
kann ich Ihnen jedenfalls sagen, weil ich es gerade erfahren habe. Wir haben immer
noch keinen Kontakt zu seiner Frau und zu seinem Sohn herstellen können. Die sind
für uns unauffindbar. In Junkersdorf sind sie jedenfalls nicht.«
»Okay«, brummte Böhnke unzufrieden
in den Hörer. Unvermittelt wechselte er das Thema. »Kann es sein, dass ich Sie heute
Morgen in Aachen auf der Jülicher Straße gesehen habe?«
Wieder so ein Frontalangriff, doch
diesmal reagierte Müller anders: »Ich habe Sie nicht gesehen, Herr Böhnke. Warum
haben Sie mich denn nicht angesprochen?«
Böhnke überhörte die Frage, die
eine klare Antwort verschwieg und augenscheinlich nur den Sinn hatte, aus ihm weitere
Informationen über den Vorfall herauszuholen. »Sie waren also in Aachen«, folgerte
er dreist, wenn auch nicht unbedingt schlüssig.
»Ja«, Müller schien das taktische
Geplänkel zu nerven. »Ich war in Aachen. Und ich war auf der Jülicher Straße. Aber
nur inoffiziell. Ich habe mich nämlich im Café des Ludwig-Museums zu einem vertraulichen
Gespräch mit einem Kunstsammler aus den Niederlanden getroffen. Er wollte sich mit
mir über eine Verlagerung seiner wertvollen Gemäldesammlung von Düsseldorf nach
Köln unterhalten. Wir haben uns quasi auf neutralem Gebiet getroffen.« Müller lachte.
»Es ist müßig, Ihnen den Namen meines Gesprächspartners zu nennen. Wir haben Vertraulichkeit
vereinbart. Er wird Ihnen garantiert sagen, dass er mich gar nicht kennt und wir
deshalb nie miteinander geredet haben.«
Böhnke zauderte. Sollte er diese
Behauptung hinnehmen oder log Müller, dass sich die Balken bogen?
»Es ist mir egal, was Sie glauben«,
fuhr Müller fort, als könne er Böhnkes Gedanken lesen. »Von mir werden Sie jedenfalls
nichts anderes hören, Herr Böhnke«, Müllers Stimme wurde laut und streng. »Das muss
für heute reichen. Ich habe in wenigen Minuten einen wichtigen Termin mit den Regierungspräsidenten.«
›Klopp’ die Sache in die Tonne!‹, schlug er sich selbst vor. Sollten
ihm Kardinal und die anderen alle doch gestohlen bleiben. Diesen Entschluss hatte
er bei seinem Nachmittagsspaziergang getroffen, bei dem er zum ersten Mal den langsam
heranrückenden Winter bemerkte. Es war in den letzten Tagen spürbar kälter geworden,
nur hatte er seine Kleidung noch nicht angepasst. Es wurde Zeit, die dicke Jacke
aus dem Schrank zu holen.
Eines interessierte ihn doch: die
eventuellen Beteiligungen von Kardinal an Strafverfahren. Vielleicht hingen die
Lücken in seinem Lebenslauf ja mit irgendwelchen Haftstrafen zusammen.
Böhnke wusste, wer ihm auf diskrete,
aber ausführliche Weise helfen konnte. Der Anruf bei seinem langjährigen Freund
Küpper im Landeskriminalamt war nur kurz. »Ich brauche alles, was du über Kardinal
im Computer hast«, bat er, wissend, dass ihm Küpper die Bitte erfüllen würde, auch
wenn er sich nicht legal verhielt.
Am Abend fand er endlich Zeit, sich einmal mit anderen Dingen zu beschäftigen.
Er hatte den Kachelofen befeuert und freute sich über die wohlige Wärme, während
der heftige Regen gegen die große Fensterfront prasselte. Er griff nach dem Prospekt
mit den exotischen Früchten. Hängen blieb er bei der Anone und deren Beschreibung:
›Sie ist reich an Phosphor, Kalium, Kalzium, den Vitaminen B1, B2 und C1. Phosphor
und Kalium haben eine adstringierende sowie gallentreibende und verdauungsfördernde
Wirkung und schützen ebenfalls gegen Würmer. Sie wird den Personen mit zu hohem
Blutdruck, den Fettleibigen, Herzkranken und Diabetikern empfohlen.‹
Wenn’s weiter
nichts ist, schmunzelte der Pensionär. Er suchte vergeblich nach dem französisch-deutschen
Wörterbuch und ließ die ursprüngliche französischsprachige Beschreibung ›ou des
propriétés adstringentes et vermifuges‹ unübersetzt. Er hatte wahrlich andere Probleme,
als mit Anone Würmer zu bekämpfen.
16.
Mit dieser Schnelligkeit hatte Böhnke nicht gerechnet.
Er war unterwegs auf seinem morgendlichen Gang durch Huppenbroich, als hupend der
Postwagen neben ihm zu stehen kam. Er habe ein Einschreiben für ihn, meinte der
Briefträger. Das würde er ihm gerne jetzt geben, wer weiß, ob er ihn später bei
seiner Tour in der Wohnung antreffen würde.
Böhnke quittierte den Empfang des
großen, braunen Umschlags, der eindeutig von Küpper stammte. Der Freund hatte nicht
nur unverzüglich die Unterlagen über Kardinal zusammengesucht, sondern sie auch
postwendend versandt. Wenn
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