Kardinalspoker
Rechtschreibprogramm
angeschafft zu haben. Leserbriefe garnierten bald die Berichte über die angeblich
verschwenderische Kommunalpolitik, die zu hohen Preise bei der KVB oder die Mauer
des Schweigens in den Tageszeitungen, hinter denen sich die Skandale aus dem Rathaus
versteckten. Meist wurden die angeblichen Verfehlungen von Kommunalpolitikern angeprangert,
die weder mit Namen noch mit Parteizugehörigkeit genannt wurden. An Stil und Inhalt
war erkennbar, dass sie wohl immer vom selben Autor stammten, obwohl unterschiedliche
Namen angegeben waren.
›Kardinal selbst?‹, hatte der Redakteur
notiert. ›Die Namen gibt es nicht.‹
Aber es gab immer mehr Freunde des
›Gewitter‹. Die Leser labten sich an den vermeintlichen Politskandalen, die Kardinal
aufdeckte. Da behauptete er beispielsweise unverfroren, ein Ratsherr hätte den städtischen
Bauhof eingesetzt, um kostenlos seinen Garten in einem Villenviertel neu zu gestalten.
Immer im Konjunktiv geschrieben und immer mit ›gut informierten Quellen‹ als Informanten
versehen, blieb Kardinal von Klagen verschont.
Betroffene fanden bei ihm kein Gehör,
mehr noch, sie mussten in der nächsten Ausgabe, Wochen später, wieder Leserbriefe
zur Kenntnis nehmen, in denen auf sie eingeprügelt wurde. Sie konnten sich allenfalls
an die anderen Medien wenden, die ihrerseits keine Notwendigkeit verspürten, Lügengeschichten
in einer primitiven Stadtteilzeitung richtigzustellen. Dadurch würden sie dem ›Gewitter‹
noch mehr Aufmerksamkeit verschaffen, erklärten sie zur Begründung.
Der Typ war gerissen, erkannte Böhnke
schnell. Kardinal stellte Behauptungen auf, kommentierte sie aus seiner Sicht und
zeigte Schadenfreude, weil sich niemand wehren konnte. Da der ›Gewitter‹ unregelmäßig
erschien, waren Gegendarstellungen nahezu zwecklos.
Ein CDU-Ratsherr hatte offensiv
gehandelt. Er forderte, nachdem ihn Kardinal als ›abgetakelten Handlanger des Bürgertums‹
bezeichnet hatte, die Anzeigenkunden auf, nicht länger dieses ›Machblatt‹ zu unterstützen.
Dieser Schuss ging nach hinten los. Kardinal erfuhr von dieser Aufforderung, klagte
gegen den Ratsherrn auf Unterlassung und bekam Recht. Dennoch hatte der attackierte
Politiker Erfolg. Nach seinem Aufruf ging das Anzeigenaufkommen in der nächsten
Ausgabe erheblich zurück.
Aber auch Kardinal erreichte sein
Ziel: Er gründete die KGB, die im Stadtrat für die Rechte der Bürger kämpfen würde.
Bei der nächsten Kommunalwahl erhielt er Sitz und Stimme, nicht zuletzt, weil der
nordrhein-westfälische Innenminister die Fünfprozentklausel nach einem Urteil des
Verfassungsgerichts abschaffen musste.
Neben den Ausgaben vom ›Gewitter‹
enthielt der Ordner Zeitungsartikel, in denen der Ratsherr Kardinal erwähnt wurde.
Viel Beachtung schenkten ihm die Journalisten dabei nicht. Er wurde eher am Rande
als politischer Mitläufer betrachtet.
›Er lebte jetzt nur noch von seinen
Diäten‹, hatte der Redakteur vermerkt. Der ›Gewitter‹ erschien nur noch sehr unregelmäßig
und nur dann, wenn Kardinal wieder genügend Geldgeber für eine Ausgabe gefunden
hatte. Im letzten Jahr zwei Mal, in diesem Jahr ein Mal. Von dem Blättchen konnte
er nicht leben.
Kardinal hatte seine Diäten als
Fraktionsvorsitzender, besaß eine kostenlose Wohnung in Aachen und ging offenbar
keiner geregelten beruflichen Tätigkeit nach. Reichte das tatsächlich fürs Leben?
Eine Antwort darauf fand Böhnke
in den Papieren ebenso wenig wie auf die Frage nach dem privaten Umfeld. Auch über
die Kurzehe mit Sylvia Großknecht gab es keine Hinweise. Er erhoffte sich die privaten
Informationen von Müller, wenn der Oberbürgermeister ihm tatsächlich noch die Unterlagen
schicken würde.
Das Telefonat mit Grundler war aus einem einzigen Grunde äußerst kurz.
Lieselotte drängte mit Ladenschluss auf die Fahrt nach Huppenbroich. »Fasse dich
kurz!«, meinte sie und Böhnke hielt sich daran.
Schnell berichtete er vom Geschehen
des Tages, wobei er die Vermutung über Müllers Auftauchen für sich behielt. Es reichte,
wenn Grundler wusste, dass ein Fremder im Treppenhaus gesehen worden war, der anscheinend
einen großen Karton davontrug. Es schien Böhnke besser, wenn er sein Wissen über
Müller zunächst für sich behielt.
»Weißt du vielleicht etwas von einem
Karton in der Wohnung, für den sich die Polizei bei der Sicherung der Spuren nicht
interessiert hat?«, fragte er.
»Keine Ahnung«, antwortete Grundler.
»Aber ich kann mich
Weitere Kostenlose Bücher