Kardinalspoker
die Bürokratie doch immer so klappen würde, schmunzelte
Böhnke. Er sah keinen Grund, seinen Spaziergang wegen des Briefes abzubrechen. Er
schlenderte bis zum Sportplatz, setzte sich dort auf eine Bank und ließ sich blinzelnd
von der Sonne bescheinen. Wer wusste schon, wann es in diesem Jahr vorbei war mit
der angenehmen Wärme und der Herbst zum kalten, nassen Winter wechselte?
Küpper hatte sich mit der Informationsbeschaffung
und der Weitergabe weit aus dem Fenster gelehnt und dennoch Vorsicht walten lassen.
Mit dieser großen Mitteilungsbereitschaft hatte Böhnke nicht unbedingt rechnen können
oder gar müssen. Dass die Unterlagen nicht gänzlich aus offiziellen Quellen stammen
konnten, schloss er nicht nur aus dem Fehlen eines Begleitschreibens seines langjährigen
Weggefährten. Der Polizeirat hatte die Auskünfte über Kardinal auf neutralem Kopierpapier
ausgedruckt, das keinerlei Rückschlüsse auf die Quelle zuließ. Vermutlich hatte
Küpper die Dateien mit den Informationen kopiert und danach ausgedruckt. Ob er sich
des offiziellen Vorstrafenregisters bedient hatte oder anderer interner Quellen,
war auf den Kopien nicht erkennbar. Böhnke ging aber wie selbstverständlich davon
aus, dass die Informationen stimmten, die er von Küpper erhalten hatte.
Einige Daten
aus dem Leben des Kommunalpolitikers kannte Böhnke bereits. Nach der Lektüre war
er zwar schlauer als zuvor, aber zugleich verunsichert, mehr noch, er sah ein Leben
in Gefahr.
Das offizielle
Vorstrafenregister brachte das Bekannte: Verurteilungen wegen Körperverletzungsdelikten,
Verleumdung und Beleidigung, Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz, Insolvenzverschleppung;
aber Küpper hatte es nicht dabei belassen. Er hatte in seinen Kopien auch die aus
dem Register gestrichenen Strafen genannt. So war Kardinal schon als Jugendlicher
straffällig geworden. Ladendiebstahl, Bedrohung von Mitschülern bis hin zur räuberischen
Erpressung seiner Klassenkameraden ließen schon bei dem minderjährigen Gerd-Wolfgang
Kardinal auf eine erhebliche kriminelle Energie schließen. Alle staatlichen Erziehungsbemühungen
waren anscheinend ebenso erfolglos geblieben wie die familiären. Auch brachten die
ersten Bewährungsstrafen und Haftstrafen wegen Raubes und schwerer oder gefährlicher
Körperverletzung keine Besserung im Sozialverhalten von Kardinal. Erst in den letzten
knapp 15 Jahren gab es eine augenscheinliche Rücknahme der Ermittlungs- und eröffneten
Strafverfahren gegen den Mann. Gründe dafür konnte Böhnke nur vermuten. Teilweise
hatte Kardinal seine Ziele erreicht, wenn auch mit ungewöhnlichen bis unlauteren
Methoden wie im Fall Sylvia Großknecht. Vielleicht hatte auch die Heirat mit seiner
jetzigen Frau zu seinem Lebenswandel im Rahmen der Legalität geführt. Dabei fiel
er immer wieder einmal aus diesem Rahmen heraus.
Im dritten
Teil von Küppers Unterlagen fand Böhnke einen immensen Stapel von Ordnungswidrigkeiten.
Offensichtlich hatte Kardinal wenig Wert auf Parkscheiben oder Parkuhren gelegt,
und auch Geschwindigkeitsbegrenzungen schienen nicht für ihn zu gelten. Er bezahlte
die Knöllchen einfach nicht, auch als ihre Zahl auf die hundert zuging und ihm mit
Führerscheinentzug gedroht wurde. Kurzerhand meldete er seinen Wagen ab und auf
den Namen seiner Frau wieder an. Für sich machte er außerdem geltend, gerade einmal
den Lebensunterhalt bestreiten zu können, bei ihm sei nichts zu pfänden oder zu
holen. Aber auch diese Versicherung hinderte ihn nicht daran, sein eigenes Spiel
mit den Strafmandaten ungeniert fortzusetzen. Die Knöllchen wurden seiner Frau zugestellt
und setzten den langatmigen Behördenapparat in Gang, als sie wahrheitsgemäß erklärte,
sie fahre nicht mit dem Auto.
Böhnke wunderte
sich ein wenig, dass Küpper dieses Wissen hatte. Noch mehr wunderte er sich, als
er zur vierten Abteilung des Papierstapels griff. Darin befanden sich Unterlagen
über staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren und Strafprozesse, die entweder
mit einem Freispruch oder gar mit einer Einstellung der Verfahren endeten. Bei der
jüngsten Akte, die in der rückwärts sortierten Chronologie als erste abgedruckt
war, hatte die Staatsanwaltschaft erst vor wenigen Monaten auf Anzeige einer Kommunalpolitikerin
wegen Beleidigung ermittelt und bereits die Anklage formuliert. Dann hatte die Fraktionskollegin
von Pohlke ihre Anzeige gegen Kardinal zurückgenommen, obwohl ein Zeuge ihre Angaben
bestätigt hatte. Die Frau war von
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