Karibik all inclusive: Ein Mira-Valensky-Krimi
Ausrutscher gewesen sei und dass es eigentlich schon zu Ende wäre. Wer’s glaubt. Wäre es ihm ernst mit mir, würde er sich melden. Ich habe ihn für so verlässlich gehalten. Ein Fixpunkt in meinem Leben, groß und schwer, und wenn’s sein muss, auch was zum Anlehnen. Ich habe ihn unterschätzt. Oder überschätzt?
Ich könnte mich still besaufen. Aber wer hat etwas davon, wenn ich in die Klomuschel kotze? Manchmal hasse ich mich für die Fähigkeit, trotz allem weiterzumachen, nach vorne zu schauen. Aber im Überleben bin ich ganz schön gut. Ich fahre in die Redaktion. Irgendetwas wird es schon zu tun geben. Und später gehe ich zu Billy und Daniel. Und danach schlafe ich lange. Zuallererst aber drehe ich den Computer ab, am besten auch das Mobiltelefon. Er könnte ein SMS senden. Natürlich muss ich zuerst nachsehen, ob sich nicht irgendeine Nachricht still und heimlich in den Posteingang verkrochen hat. Aber da ist nichts. Gar nichts.
Den Regenschirm habe ich vergessen, ich lasse die Schneeregenflocken auf mein Gesicht klatschen, sie passen zu meiner Stimmung. Dicke Tränen vom Himmel – liebe Güte, Mira, jetzt werde nicht auch noch kitschig. Was dir passiert ist, kommt jeden Tag vor, das ist kein Rosamunde-Pilcher-Film mit sattgrünen Wiesen und dubiosen Leidenschaften, das ist Wien mit Matsch an den Straßenrändern und Autos, die einen von oben bis unten nass spritzen. Ich zeige einem BMW-Fahrer den Stinkefinger, steige fauchend in meinen kleinen Fiat und habe das Gefühl, dass es mir schon etwas besser geht.
Am Bürohochhaus prangt in riesigen Lettern das Motto: „Lesen Sie DAS!“ Etwas aufdringlich für meinen Geschmack, aber das passt zum Stil des „Magazins“. Es gibt Schlimmeres, als hier zu arbeiten. Zum Beispiel, in der Rechtsabteilung einer Versicherung zu versauern. Oder als Anwältin darauf zu warten, dass einen der große Wirtschaftsanwalt Oskar … Stopp, nicht schon wieder Oskar.
Zum Glück ist der Kollege, mit dem ich den Doppelschreibtisch teile, unterwegs. Ein paar Leute nicken mir zu, heute ist in unserer Wochenzeitung Redaktionsschluss, entsprechend konzentriert wird im Großraumbüro gearbeitet. Ich blättere die Post durch, keine interessanten Einladungen, ich gebe mein Passwort ein und warte, bis der Computer hochfährt. Höchste Zeit, dass wir schnellere Geräte bekommen. Der Ficus braucht dringend Wasser, das fällt sogar mir auf, dabei bin ich nicht gerade berühmt für meinen grünen Daumen.
„Warum bist du nicht in Frankfurt?“ Droch ist es gewohnt, präzise Fragen zu stellen. Er ist einer der wenigen ernst zu nehmenden Journalisten im „Magazin“ und leitet das politische Ressort. Seine Kommentare sind gefürchtet.
Ich drehe mich zu ihm um. „Weil ich Sehnsucht nach der Redaktion hatte.“
„Was ist los? Wenn du erlaubst: Du hast schon besser ausgesehen.“
„Danke.“
„Wir gehen in mein Büro.“
Droch bewegt sich im Rollstuhl geschickt zwischen Schreibtischen, Sesseln, Grünpflanzen, Papierkörben, Taschen und Zeitungen. Ich stolpere hinter ihm her. Er ist ein Freund. Ein guter Freund sogar, fast wäre er einmal noch mehr geworden. Aber das ist Jahre her. Es ist nicht daran gescheitert, dass er seit einem sagenumwobenen Einsatz als Kriegsberichterstatter in Vietnam querschnittgelähmt ist. Es ist auch nicht daran gescheitert, dass er sechzehn Jahre älter ist als ich, selbst am Umstand, dass er verheiratet ist, hat es nicht gelegen. Woran dann? Wir sind zu verschieden. Ich nenne ihn bisweilen einen konservativ-reaktionären zynischen Macho, und er weiß, was er von einer zu halten hat, die ausgerechnet im Ressort Lifestyle arbeitet. Wir mögen uns. Punkt. Zudem sieht er verdammt gut aus, wie ein Schauspieler aus der Zeit, in der sich Gesichter noch nicht während einer Saison abgenutzt haben. So irgendwas zwischen Paul Newman und Richard Gere.
Er schließt die Türe, zieht den Besuchersessel näher zu sich und deutet darauf. Brav setze ich mich nieder.
„Also?“
Ich will nichts erzählen. Droch war immer etwas eifersüchtig auf Oskar. Ich könnte es nicht ertragen, wenn er auch nur einen Hauch von Triumph angesichts meiner Misere zeigte. Oder wenn er über Oskar schimpfen würde. Das darf nur ich. „Oskar hatte zu viel zu tun“, sage ich nach einer viel zu langen Pause.
„Red schon, ich muss meinen Leitartikel fertig schreiben.“
Ich beginne wie ein kleines Mädchen, das sich das Knie angeschlagen hat, alles, was mir wehtut,
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