Karibische Affaire
Aber ich weiß im Moment nicht, welches Sie meinen. Hat er es Ihnen gezeigt?«
»Nein«, sagte Miss Marple. »Mir nicht. Wir wurden unterbrochen – «
9
» S oviel ich gehört habe«, hub Miss Prescott an, wobei sie die Stimme dämpfte und sich vorsichtig umsah. Miss Marple rückte ein wenig näher. Es hatte seine Zeit gedauert, mit Miss Prescott zu einem Gespräch unter vier Augen zu kommen. Geistliche sind Familienmenschen, und so hatte Miss Prescott sich fast jedes Mal in Begleitung ihres Bruders befunden, was jeder Art von Klatsch zweifellos abträglich war.
»Nicht, dass ich Skandale breittreten möchte«, sagte Miss Prescott, »und ich weiß ja auch wirklich nichts darüber! Aber es hat den Anschein – «
»Aber natürlich!«, sagte Miss Marple.
»Es scheint also, als habe es zu Lebzeiten seiner ersten Frau einen Skandal gegeben. Offenbar ist diese Lucky – was für ein Name! – sie ist, soviel ich weiß, eine Cousine seiner ersten Frau – hierhergekommen und hat gemeinsam mit ihm Blumen gesammelt und Schmetterlinge gefangen. Die Leute beredeten es sehr, dass die beiden so gut miteinander harmonierten – «
»Die Leute reden über alles, finden Sie nicht auch?«, meinte Miss Marple.
»Und dann erst recht, als seine Frau so plötzlich gestorben war – «
»Starb sie hier, auf dieser Insel?«
»Nein, ich glaube, damals waren sie auf Martinique oder Tobago.«
»Aha.«
»Aber von Leuten, die damals dabei waren, habe ich gehört, dass der Arzt seine Zweifel gehabt haben soll.«
»Was Sie nicht sagen!« Miss Marple war voll Interesse.
»Natürlich war es nur Tratsch, aber – Mr Dyson heiratete wirklich sehr bald wieder.« Erneut senkte sie die Stimme: »Sie war erst einen Monat unter der Erde!«
»Nur einen Monat!«, echote Miss Marple.
Die beiden Frauen blickten einander an. »Er machte einen so – gefühllosen Eindruck«, sagte Miss Prescott dann.
»Ja, gewiss«, bekräftigte Miss Marple und fügte leise hinzu: »War eigentlich – Geld mit im Spiel?«
»Das weiß ich nicht genau. Wissen Sie, er macht so seine Späße – vielleicht haben Sie ihn schon gehört –, nennt seine Frau ›Glücksbringerin‹ – «
»Ja, das hab’ ich gehört«, sagte Miss Marple.
»Und da glauben die Leute, er habe eine reiche Frau geheiratet. Obwohl« – Miss Prescott wollte sichtlich objektiv sein – »sie ja auch wirklich gut aussieht, wenn man für diesen Typ was übrig hat. Aber ich für meinen Teil glaube, dass das Geld von der ersten Frau stammt.«
»Sind die Hillingdons begütert?«
»Nun ja, begütert könnte man sagen, wenn auch nicht enorm reich. Wohlhabend eben. Soviel ich weiß, haben sie zwei Söhne an Privatschulen und einen sehr hübschen Besitz in England. Den Winter verbringen sie auf Reisen.«
In diesem Moment erschien der Kanonikus und schlug einen flotten Spaziergang vor. Miss Prescott erhob sich also, um ihn zu begleiten, während Miss Marple blieb, wo sie war.
Ein paar Minuten später kam Gregory Dyson auf seinem Weg zum Hotel an ihr vorüber. Gut gelaunt winkte er ihr zu.
»Ich gäb’ was drum, jetzt Ihre Gedanken zu kennen!«, rief er ihr zu.
Mit freundlichem Lächeln fragte sich Miss Marple, wie er wohl reagieren würde, wenn sie ihm antwortete:
»Ich frage mich eben, ob Sie ein Mörder sind?«
Tatsächlich, vieles sprach dafür, dass er einer war. Es fügte sich alles so gut zueinander – der Tod der ersten Mrs Dyson – Major Palgrave hatte, als er von dem Gattenmörder sprach, ausdrücklich auf den Fall des ›Badewannenmörders‹ hingewiesen!
Jawohl, alles traf zu – bedenklich war bloß, dass es fast zu sehr zutraf! Aber Miss Marple schalt sich selbst für diesen Gedanken: Wie kam sie dazu, ›Morde nach Maß‹ zu verlangen?
Eine Stimme schreckte sie aus ihren Gedanken – eine etwas raue Stimme: »Haben Sie Greg irgendwo gesehen, Miss – eh!«
Miss Marple fand, dass Lucky schlechter Laune war.
»Eben ist er vorbeigekommen – Richtung Hotel!«
»Das hätte ich mir denken können!« Mit einem verärgerten Ausruf eilte Lucky weiter.
›Mindestens vierzig, und heute sieht sie danach aus‹, dachte Miss Marple. Mitleid überkam sie – Mitleid mit all den Luckies dieser Welt. Wie waren sie so verwundbar durch die Zeit!
Ein Geräusch veranlasste sie, ihren Stuhl herumzudrehen. Von Jackson gestützt, erschien Mr Rafiel zu seinem morgendlichen Auftritt vor seinem Bungalow. Jackson verstaute seinen Herrn im Rollstuhl und machte sich um ihn geschäftig.
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