Karibische Affaire
aber es ist so. Solange man jung, stark und gesund ist und noch alles vor sich hat, nimmt man das Leben nicht so wichtig. Junge Leute werfen das Leben so leicht weg – aus unglücklicher Liebe oder aus anderen Sorgen oder Ängsten. Aber wir Alten wissen, wie wertvoll es ist – und wie interessant!«
»Hah!«, sagte Mr Rafiel verächtlich, »hör da mal einer zu, wie weise zwei so abgetakelte Wracks daherreden können!«
»Ja – ist es denn nicht wahr, was ich gesagt habe?«, fragte Miss Marple.
»Aber ja«, sagte Mr Rafiel, »nur zu wahr. Aber meinen Sie nicht auch, dass eigentlich ich das Opfer hätte sein müssen?«
»Das hängt davon ab, wem Ihr Tod Vorteile gebracht hätte«, sagte Miss Marple.
»Eigentlich niemandem«, sagte Mr Rafiel, »wenn wir von der Konkurrenz absehen, die meinen Tod auch so erwarten kann. Ich bin nicht so blöd, alles meinen Verwandten zu hinterlassen. Die werden recht wenig bekommen, sobald erst der Staat die Hand darauf gelegt hat. O nein, das ist alles schon seit Jahren geregelt. Verfügungen, Stiftungen – und alles übrige.«
»Da hätte also Jackson durch Ihren Tod keinerlei Vorteile?«
»Keinen Penny würde er bekommen«, sagte Mr Rafiel munter. »Ich zahle ihm doppelt soviel wie jeder andere – darum schluckt er auch meine Launen hinunter. Er weiß ganz genau, dass mein Tod für ihn ein Verlustgeschäft wäre.«
»Und Mrs Walters?«
»Für Esther gilt dasselbe. Sie ist ein braves Mädchen, als Sekretärin erstklassig, sie ist intelligent, ausgeglichen, sie weiß mich zu nehmen, zuckt nicht mit der Wimper, wenn ich die Beherrschung verliere und sie beschimpfe. Manchmal macht sie mich nervös, aber wer tut das nicht? Sonst ist nichts Besonderes an ihr dran. Sie ist in vieler Hinsicht ein Durchschnittswesen, aber ich wüsste niemanden, der mir besser zusagte. Sie hat schon eine Menge durchgemacht, hat einen Taugenichts geheiratet, wie sie ja überhaupt bei Männern nie viel Urteilskraft bewiesen hat. Manche Frauen fallen eben auf jeden herein, der ihnen eine rührende Geschichte erzählt. Immer glauben sie, so einem Kerl fehle nur die richtige weibliche Hand, dann werde er sich schon am Riemen reißen und das Leben meistern! Als ob diese Sorte das jemals fertigbrächte! Na, Gott sei Dank ist ihr Mann gestorben – er hat sich auf einer Party betrunken und kam unter einen Bus. Esther musste für eine Tochter sorgen, und deshalb begann sie wieder als Sekretärin zu arbeiten. Seit fünf Jahren ist sie bei mir. Ich habe ihr von Anfang an klargemacht, dass sie keinerlei Hoffnungen auf meinen Tod zu setzen brauche. Sie bekam ein hohes Anfangsgehalt, das ich mit jedem Jahr um ein weiteres Viertel erhöht habe. Und das geht so weiter, solange ich lebe! Wenn sie den Großteil davon auf die Seite legt – und ich glaube, das tut sie –, wird sie, sobald ich abgekratzt bin, eine wohlhabende Frau sein. Ich habe auch die Erziehung ihrer Tochter übernommen und dem Mädchen eine Summe sichergestellt, die sie ausbezahlt erhält, sobald sie großjährig ist. Mrs Esther Walters befindet sich also in wohl geordneten Verhältnissen, und mein Tod, das kann ich Ihnen versichern, wäre für sie ein schwerer finanzieller Verlust.« Er blickte Miss Marple sehr scharf an. »Das weiß sie genau. Esther ist sehr vernünftig.«
»Verträgt sie sich mit Jackson gut?«, fragte Miss Marple.
Mr Rafiel warf ihr einen raschen Blick zu.
»Sie haben was bemerkt, wie?«, sagte er. »Ja, ich glaube, Jackson hat in letzter Zeit ein Auge auf sie geworfen. Er sieht ja recht gut aus, hat aber in dieser Richtung noch kein Eis gebrochen, schon wegen des Klassenunterschieds. Sie steht zwar nicht viel über ihm, aber wenn sie deutlich über ihm stünde, würde es weniger ausmachen. Die Leute aus dem unteren Mittelstand sind da sehr eigen. Die Mutter Lehrerin, der Vater Bankbeamter – da wird sie sich doch nicht mit einem Jackson abgeben! Ich traue ihm zwar zu, dass er hinter ihrem Spargroschen her ist, aber kriegen wird er ihn nicht.«
»Schsch – da kommt sie!«, sagte Miss Marple.
Beide blickten sie Esther Walters entgegen, als sie vom Hotel herüberkam.
»Sie ist ja ganz hübsch, wissen Sie«, sagte Mr Rafiel, »aber ohne jede Spur von Selbstvertrauen. Warum eigentlich – sie ist doch recht gut gebaut!«
Miss Marple seufzte, wie das jede Frau jeden Alters tut, wenn sie an versäumte Gelegenheiten erinnert wird. Das, was Esther fehlte, hatte im Lauf von Miss Marples Leben schon viele Namen gehabt: ›Zu
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