Karibische Affaire
Ja, und dass wahrscheinlich weit mehr Giftmischerinnen auf Gottes Erdboden herumliefen, als man gemeinhin annehme.«
»Das dürfte zutreffen«, sagte Miss Marple. »Und er nannte das Gift eine Frauenwaffe.«
»Da scheint er aber vom Thema abgekommen zu sein«, sagte Mr Rafiel.
»Ja, vom Thema ist er immer abgekommen. Eben dann hat man ja nicht mehr zugehört und nur noch ›Ja, ja‹ gesagt und ›Wirklich?‹ oder ›Was Sie nicht sagen!‹«
»Wie war das nun mit dem Bild, das er Ihnen zeigen wollte?«
»Ich erinnere mich nicht. Vielleicht war es irgendein Zeitungsausschnitt – «
»Ein Foto hat er Ihnen nie gezeigt?«
»Ein Foto? Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Das weiß ich ganz sicher. Er sagte nur, sie habe gut ausgesehen, bei ihrem Anblick würde man nie denken, eine Mörderin vor sich zu haben.«
»Eine Mörderin?«
»Da haben Sie’s!«, rief Miss Marple. »Es wird immer verworrener!«
»Er sprach von einer Frau!«
»Jawohl.«
»Das kann es nicht gewesen sein!«
»Ist es aber gewesen«, beharrte Esther. »Denn er hat noch gesagt: ›Sie ist hier auf der Insel. Ich werde sie Ihnen zeigen und bei dieser Gelegenheit die ganze Geschichte erzählen.‹«
Mr Rafiel fluchte und nahm hinsichtlich seiner Gedanken über den verstorbenen Major Palgrave kein Blatt vor den Mund.
»Wahrscheinlich hat er überhaupt nie ein wahres Wort gesagt«, fasste er zusammen.
»Ja, man fragt sich gerade«, murmelte Miss Marple.
»Soweit sind wir jetzt«, sagte Mr Rafiel. »Der alte Trottel hat zunächst immer mit seinen Jagdgeschichten begonnen – Sauhatz, Tigerschießen, Elefantenjagd, Rettung aus Löwenkrallen. Die eine oder andere mag ja wahr gewesen sein, aber der Rest war entweder erfunden oder von anderen übernommen. Dann kommt er auf das Thema Mord zu sprechen und erzählt eine Mordgeschichte nach der anderen. Erzählt sie alle so, als wären sie ihm passiert! Zehn zu eins möchte ich wetten, dass die meisten aus Zeitungsberichten und Fernsehprogrammen zusammengebraut waren!«
Anklagend wandte er sich Esther zu: »Aber Sie sagen ja selbst, dass Sie nicht genau zugehört haben! Vielleicht haben Sie missverstanden, was er gesagt hat!«
»Er hat ganz sicher von einer Frau gesprochen«, sagte Esther hartnäckig, »denn ich wollte natürlich wissen, wer es war.«
»Und wer, glauben Sie, war es?«, fragte Miss Marple.
Esther errötete. Sie schien peinlich berührt.
»Oh, ich habe eigentlich nicht – ich meine, ich würde nicht gern – «
Miss Marple drang nicht weiter in sie. Für ihre Art, die Dinge herauszufinden, war Mr Rafiels Anwesenheit eher störend. Dazu bedurfte es des angenehmen Geplauders von Frau zu Frau. Außerdem war es möglich, dass Esther Walters log. Natürlich sagte Miss Marple das nicht. Sie registrierte es als Möglichkeit – wenn auch als unwahrscheinliche Möglichkeit. Denn sie sah in Esther Walters keine Lügnerin (obwohl man nie wissen konnte), und außerdem schien ihr jedes Lügen hier sinnlos zu sein.
»Aber Sie«, wandte Mr Rafiel sich jetzt an Miss Marple, »Sie behaupten doch, er habe Ihnen diese Mördergeschichte erzählt und gesagt, er wolle Ihnen ein Foto des Mörders zeigen!«
»Ja, das habe ich geglaubt.«
»Das haben Sie geglaubt? Anfangs waren Sie doch ganz sicher!«
Aber Miss Marple entgegnete mit Nachdruck: »Es ist niemals leicht, eine Unterhaltung wortgetreu wiederzugeben. Man ist immer geneigt, das, was man selbst für die Meinung des anderen hält, für dessen Meinung auszugeben. So legt man ihm dann die Worte in den Mund. Ja, es stimmt, der Major hat mir diese Geschichte erzählt – hat mir erzählt, dass der Mann, von dem er sie hatte, eben jener Arzt, ihm ein Foto des Mörders gezeigt habe. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, muss ich zugeben, dass er mir wörtlich gesagt hat: ›Wollen Sie das Bild eines Mordes sehen?‹, und dass ich natürlich angenommen habe, es sei das Foto gemeint, von dem vorher die Rede war. Aber ich muss zugeben, es wäre möglich – wenn auch nur entfernt –, dass er durch eine Ideenassoziation plötzlich auf ein anderes Foto gekommen war, das er vielleicht erst vor Kurzem gemacht hatte von jemandem, den er des Mordes verdächtigte.«
Mr Rafiel schnaubte ärgerlich. »Ach, diese Weiber! Alle seid ihr gleich, alle miteinander, der Teufel soll euch holen! Keine kann genau sein, keine ist jemals ganz sicher! Na also«, fügte er gereizt hinzu, »wohin führt uns das jetzt wieder!« Er schnaubte abermals. »Zu Evelyn Hillingdon,
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