KARIBISCHES LIEBESABENTEUER
bleiben sollte, zu ängstlich, sich zu bewegen, und sich fragend, ob sie ihn aufwecken sollte. Doch dann gab sie der Versuchung nach und schmiegte sich ein wenig enger an ihn. Sie seufzte zufrieden und dachte an den gestrigen Abend.
Zuerst waren sie natürlich die ganze Zeit unterwegs gewesen, und nach den ersten zwanzig Minuten, als ihre Füße angefangen hatten wehzutun und ihre Lungen brannten, hatte sie den Fußmarsch bei sich den „Todesmarsch von San Timoteo“ getauft. Als sie dann eine Pause einlegten, hatte Dominic sie angeschrien, aber danach war er plötzlich so freundlich geworden, dass sie sich mit aller Macht zusammenreißen musste, um nicht in Tränen auszubrechen.
Und dann hatten sie sich geküsst. Die Erinnerung daran genügte, um sie auch jetzt, Stunden später, innerlich erglühen zu lassen. Danach hatten sie eine kurze, aber völlig unerwartete Unterhaltung gehabt, und Dominic war von der dunklen Nacht verschluckt worden.
Wie versprochen, war er nur kurze Zeit fortgeblieben. Er hatte nicht auf Lilahs Protest geachtet, sondern sie bis zu der Stelle getragen, wo er bereits einen Unterstand errichtet und eine Decke ausgebreitet hatte. Er hatte ihr Wasser zu trinken gegeben und etwas bemerkenswert Sättigendes zu essen, was er MRE nannte und aus seinem scheinbar bodenlosen Rucksack geholt hatte.
Danach war alles ein wenig verschwommen. Lilah erinnertesich schwach daran, dass sie im Sitzen eingeschlafen war, dass Dominic sie sanft hinlegte und zudeckte. Und genauso schwach erinnerte sie sich, dass sie die Augen geöffnet hatte – es musste Morgendämmerung gewesen sein – und Dominic immer noch wach gewesen war und Wache gehalten hatte.
Aber sehr viel deutlicher erinnerte sie sich an den Moment, als er sich dann doch neben ihr ausgestreckt hatte, groß und kräftig, wundervoll warm und beruhigend männlich.
Jetzt tanzte das Sonnenlicht an den Rändern des Schatten spendenden Überhangs, und die Vögel sangen, um den neuen Tag zu begrüßen. Die Kälte der Nacht war nur noch eine vage Erinnerung. Es war jetzt schon heiß und schwül.
Ihre Wange lag auf der warmen Haut von Dominics Oberarm, sein anderer Arm war um ihre Lilahs Taille gelegt. Ihre Beine waren miteinander verschlungen, der weiche Stoff seiner Hose kitzelte ihre Fußsohlen.
Es war kaum zu glauben, dass sie gestern um dieselbe Zeit allein im Gefängnis gewesen war, kurz davor, jede Hoffnung zu verlieren, und völlig verängstigt.
Das Letzte war allerdings eher ein Normalzustand. Lilah hatte die meiste Zeit ihres Lebens damit zugebracht, Angst zu haben – davor, ihre Großmutter zu enttäuschen, dem Namen ihrer Familie Schande zu machen und sich zu einer Frau zu entwickeln, wie es ihre Mutter gewesen war, die sie nie kennen gelernt hatte.
Ihrer Großmutter zufolge hatte Lilahs schöne, aber leichtsinnige Mutter den Tod von Lilahs Vater verursacht. Melanie Morgan Cantrell hatte Abigails Sohn James mit ihrer Lebhaftigkeit, ihrer Fröhlichkeit und Unbekümmertheit wie eine Sirene dazu verführt, seine Pflichten zu vergessen. Wenn er sich um seine Arbeit gekümmert hätte, wie es seine Mutter von ihm erwartete, dann hätter er nieanf jener frivolen Party in Montana teilgenommen und sich anschließend mit seiner Frau in das kleine Flugzeug gesetzt, das in den Rocky Mountains abgestürzt war. Dabei waren alle Insassen, einschließlich James’ junger Frau, getötet worden.
Obwohl Abigail es nie richtig aussprach, ahnte Lilah, dass ihre Großmutter meinte, Melanies Tod sei eine gerechte Strafe. Sehr viel offener sagte Gran allerdings, dass sie auf keinen Fall zulassen würde, dass Lilah in Melanies Fußstapfen trat. Sie hatte jede Vorsichtsmaßnahme getroffen und ihre Enkelin zu all dem erzogen, was deren Mutter nicht gewesen war – zu einer zurückhaltenden, besonnenen, pflichtbewussten, verantwortungsvollen jungen Frau.
Aber was hatte Lilah diese Erziehung gebracht? In der vergangenen Woche war ihr schmerzhaft einiges klar geworden. Sie war fast dreißig Jahre alt und immer noch allein. Sie hatte nichts erlebt und keine Erfahrungen gesammelt, die ihr Kraft hätten geben können. Aber das konnte sich ändern – sie selbst konnte sich ändern.
Diese Möglichkeit, die vor wenigen Tagen nicht mehr als reines Wunschdenken gewesen war, schien ihr jetzt in Dominics Umarmung sehr viel realistischer zu sein.
Sie sehnte sich nach Dominic, und sie wusste, dass das nicht nur an den außergewöhnlichen Umständen lag. Sie würde niemals
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