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Karl der Dicke beißt sich durch

Karl der Dicke beißt sich durch

Titel: Karl der Dicke beißt sich durch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schrader
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bißchen übernommen, du kennst doch seinen gesunden Appetit! Und darum leidet er jetzt so unmenschlich.“
    „Ach, so ist das!“ sagte Egon und griente tückisch. „Unser Dickerchen hat mal wieder nicht maßhalten können! Na, dann heb’ ich mir den schönen Apfel für später auf.“
    Karl knetete seinen Bauch, in dem es grummelte wie in einem Vulkan vor dem Ausbruch, und versuchte abwechslungshalber mal wieder in der Rückenlage eine Linderung seines Leibkneifens zu finden.
    „Wenn ihr mehr Durchblick hättet“, stöhnte er, „würdet ihr nicht so läppisch daherreden. Das Leben ist eine einzige Qual, an der so feinfühlige Naturen wie ich verbluten.“ Egon horchte auf.
    „Täuscht mich mein immerwaches Ohr“, fragte er überrascht, „oder nanntest du dich eben tatsächlich feinfühlig?“
    „Du hast durchaus richtig verstanden“, sagte Karl mit Nachdruck. „Wenn einer in dieser Runde hier empfindsam und zartbesaitet ist, dann bin ich es.“
    Egon spuckte zwei hellgrüne Apfelkerne haarscharf an Karls bleichen Wangen vorbei und sagte: „Aber, Karlchen, jetzt hast du gleich zweimal in den falschen Vokabelkasten gegriffen! Wir kennen dich als kraftstrotzend, unerschütterlich und dickfellig. Das sind doch gerade die Tugenden, die wir an dir schätzen und um die wir dich beneiden! Deine Seelenharfe ist nicht mit zarten Saiten bespannt, sondern mit unzerreißbaren Stahldrähten.“
    Karl richtete sich ächzend auf und schüttelte den Kopf wie einer, der sich daran gewöhnt hat, daß alle Welt ihn verkennt und unterschätzt.
    „Mein lieber Egon Langfuß“, sagte er, „obwohl in deinem schmalen Kopf nur ein kleines Gehirn wohnt, solltest du eigentlich begreifen, daß der Mensch wie alle Lebewesen Wandlungen unterworfen ist, daß aus der Kaulquappe ein Frosch und aus der häßlichen Raupe mit der Zeit ein wunderschöner Schmetterling wird. Ich bin nicht mehr der, der ich war, ich bin völlig verändert!“
    „Hm“, machte Egon, „du siehst mich erstaunt. Solltest du dich wirklich vom Elefanten zum Nilpferd gemausert haben? Oder gar zum Känguruh? Das wäre ein zoologisches Wunder. Was hat dich denn so einschneidend verändert?“ Karl fummelte eine schmuddelige Zeitung aus der Hosentasche, entfaltete sie wortlos und zeigte auf die fingerlangen Buchstaben der Überschrift auf der ersten Seite. Guddel und Egon beugten sich über das Blatt.
    „Hat der Riese 23 Menschen umgebracht?“ stand da in bedrohlichem Schwarz, rot unterstrichen. Der Text darunter erzählte den aufgeschreckten Lesern, wie ein aus der Nervenheilanstalt entlassener riesenhafter Mann seine Mutter und 22 andere Frauen umbrachte. Egon nahm die Zeitung an sich und las die breit aufgemachte Meldung von Anfang bis Ende, und zwar laut, damit Guddel auch informiert wurde. Dann ließ er die Zeitung sinken und sah Karl betroffen an.
    „Donnerwetter“, sagte er. „Man gut, daß wir keine Frauen sind! Das ist wirklich ein ziemlich starker Tabak. Kein Wunder, daß das sogar dich aufgewühlt hat, Karl.“
    Auch Guddel zeigte sich beeindruckt. Karl nickte grimmig. „Das ist noch nicht alles“, sagte er mit bebender Stimme. „Die Zeitung bietet noch mehr von dieser Qualität! Hier: ,Vater erdrosselt dreijährige Tochter mit Damenstrumpf! 1 Und da: ,Chirurgen irrten sich, Patientin wurde wahnsinnig! 1 Und dort: ,Siebzehn kleine Hunde sollten im Pappkarton verhungern! 1 Und da unten: ,Blutbad im Armenvier-tel 1 , Zwanzigjähriger im Bett verbrannt! 1 , ,Mutter wollte sich und ihr Kind vergiften!*, ,Amokläufer stach fünf Passanten nieder!*, ,Hauseinsturz kostete dreizehn Menschen das Leben!*, ,Vierjähriger von Braunbären zerrissen!*, ,Gasexplosion im Hochhaus: 25 Tote und 18 Schwerverletzte!* Nun sagt selbst, ob man noch Lust hat zu leben, wenn man auf diese Weise erfährt, wie viele Scheußlichkeiten, Verbrechen und Unfälle auf der Welt geschehen!“
    Egon spielte mit seinem letzten Apfel.
    „Man sollte das gar nicht lesen“, sagte er. „Wenn man nichts davon weiß, regt es einen auch nicht auf.“
    „Ja, ja“, höhnte Karl, „Scheuklappen vor die Augen binden, Kaugummi in die Ohren stecken und sich dann an den lieblichen Blümelein freuen, die im Märzenwind säuseln. Das sieht dir ähnlich!“
    „Ich fürchte“, warf Guddel ein, „mit Scheuklappen und Kaugummiohren wird er die säuselnden Blümelein gar nicht bemerken.“
    „Natürlich“, empörte sich Karl, „du treibst noch mit Entsetzen Scherz! Von einem Dichter sollte

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