Karl der Dicke beißt sich durch
nicht mehr behandelt werden. Nach drei bis fünf Tagen tritt der Tod ein, da hilft dir nichts und niemand.“
In diesem Augenblick kam Egon zurück und meldete, daß sein Vater mit dem Wagen vor der Tür warte.
Karls Mutter zog sich einen Sommermantel über und nahm ihre Handtasche aus dem Schrank.
„Komm, mein Junge“, sagte sie, „es wird schon noch alles gut werden.“
Egon nahm vorn im Auto neben seinem Vater Platz, Frau Buchholz, Karl und Guddel stiegen hinten ein.
„Fahr bloß zu, Vati“, bat Egon, „zweieinhalb Stunden sind nach dem Biß schon vergangen! Wir haben nur noch neunzig Minuten Zeit.“
Herr Feldmann winkte ab.
„Ich glaube“, sagte er, „ihr macht da aus einer kleinen Sache ein ganz großes Drama. Wenn jeder, der von einem Hund gebissen wird, sterben müßte, hätten wir bald nicht mehr genug Friedhöfe.“
In der Unfallstation des Krankenhauses war Hochbetrieb. Keiner der Ärzte und Pfleger und keine der Schwestern hatten Zeit für Karl und seinen Hundebiß. Alle rannten geschäftig hin und her. Ein Mann, der auf der Straße zusammengebrochen war und sofort behandelt werden mußte, wurde hereingetragen. Eine junge Türkin, die ein Baby erwartete, hatte nicht mehr die Kraft, sich in die Halle zur Aufnahme zu schleppen: sie fiel durch die Tür und schrie laut.
„Mein Gott“, sagte Herr Feldmann, „das ist ja der reinste Hexenkessel hier! Wenn dein Hundebiß wirklich innerhalb von vier Stunden behandelt werden muß, sehe ich schwarz. Das kann doch noch ewig dauern!“
Endlich trat ein junger Arzt zu ihnen und fragte, was los sei.
„Mich hat ein Hund gebissen“, sagte Karl, „im Tollwutsperrgebiet.“
„Ins Bein?“ fragte der Arzt.
„Ja, hier, ins linke!“
Der Mann sah sich die beiden roten Punkte an und bat darauf Karl und seine Begleiter in ein kleines Zimmer, eine Art Magazin für Medikamente.
„Ich muß dich hier schnell untersuchen“, entschuldigte er sich, „heute ist bei uns der Teufel los und alles besetzt. Mach bitte mal den Oberkörper frei.“
Er maß Karls Blutdruck, horchte mit dem Stethoskop seine Lunge ab, fühlte ihm den Puls und fragte dann: „Wann bist du zuletzt gegen Tetanus geimpft worden?“
„Vor einer Stunde“, antwortete Karl.
„Hm, gut. Du weißt, daß du nach vier Wochen eine zweite Spritze und nach zwölf Monaten eine dritte bekommen mußt, ja?“
„Ich werd’ mich drum kümmern, daß er die Termine nicht versäumt“, rief Frau Buchholz.
„Schön“, sagte der Arzt, „dann fahren Sie jetzt mit Ihrem Sohn nach Hause und setzen sich mit dem Besitzer des Hundes in Verbindung. Der Hund muß sofort eingesperrt und von allen anderen Tieren und natürlich auch von Menschen ferngehalten werden, und auf keinen Fall darf man ihn töten! Ein Tierarzt muß ihn untersuchen und vier Tage lang beobachten. Wenn das Tier innerhalb dieser Zeit stirbt, hat es die Tollwut gehabt, dann bekommst du, mein Junge, einige Spritzen. Überlebt der Hund aber diese Frist, ist alles in Ordnung, und du brauchst nicht wiederzukommen.“
„Hat man denn so lange Zeit?“ fragte Herr Feldmann. „Ich denke, man muß spätestens nach vier Stunden eine Spritze kriegen?“
„Nein“, erklärte der Arzt, „bei einem Biß ins Bein hat man Zeit genug. Schlimmer wäre es, wenn der Hund ihn in die Hand oder vielleicht sogar ins Gesicht gebissen hätte. Dann wäre der Weg bis ins Gehirn zum Zentralnervensystem für das Tollwutvirus ja nur sehr kurz.“
„Könnte man denn nicht vorsichtshalber jetzt schon eine Spritze geben?“ fragte Karl. „Dann ist die Sache doch ausgestanden, und es kann nichts mehr passieren!“
„Oh doch“, sagte der Arzt. „Die sechs Spritzen, die du bekommen würdest, sind nicht ungefährlich. Sie können zu einer Wesensveränderung führen. Auf einmal bist du ein ganz anderer und kennst dich selbst nicht mehr wieder. Darum spritzt man nur, wenn man ganz sicher ist, daß es sich um eine Tollwutinfektion handelt.“
„Den Weg hätten wir uns sparen können“, sagte Egon, als sie wieder im Auto saßen. „Jetzt sind wir genau so schlau wie vorher.“
„Das ist nicht wahr!“ widersprach Herr Feldmann. „Wir wissen nun, daß es mit der Spritze gar nicht so eilig ist und daß es sich innerhalb der nächsten vier Tage herausstellen wird, ob Karl mit Tollwutviren infiziert wurde oder nicht.“ Karl saß mit bleichem Gesicht in der Wagenecke und blickte stumm aus dem Fenster. Alle merkten, daß er sich sehr schlecht
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