Karl der Dicke beißt sich durch
lächerlichen Hundebiß!“ rief Egon. „Es blutet ja nicht mal! Freu dich, daß er nicht ein Stück von deiner Wade abgebissen hat, wie es jeder halbwegs normale Hund getan hätte. Komm, steig auf! Der Köter hat dich gern und wollte dir das auf diese liebenswürdige Art zu verstehen geben.“
Karl streifte den Strumpf hoch, und sie fuhren weiter. Am Ortsausgang drehte Guddel sich um und rief: „Tschüß, Hinnebeck, du siehst uns so bald nicht wieder!“ Da fiel sein
Blick auf eine kleine weiße Tafel, die an einem Lichtleitungsmast angebracht war, und er las die rote Aufschrift:
Wildtollwut!
Gefährdeter Bezirk!
„Mensch, Karl“, rief er, „halt mal an! Guck mal, was da steht!“
„Wo?“ fragte der.
„Da an dem Leitungsmast!“
„Meinst du das Tollwutschild?“
„Ja!“
„Hm, und warum soll ich das lesen? Solche Schilder hängen doch im ganzen Kreisgebiet.“
„Weil du eben gebissen worden bist!“
„Aber doch nicht von einem Wild, Mensch, sondern von so ‘ner zahmen Hausbestie! Das ist weiter nicht gefährlich, ich spür’ ja jetzt schon nichts mehr.“
„Haustiere können auch die Tollwut haben“, rief Guddel eindringlich, „die werden nämlich angesteckt von Füchsen und Ratten und so, und wenn sie sich irgendwie merkwürdig oder verrückt benehmen, dann ist das meistens ein Zeichen dafür, daß sie die Krankheit in sich tragen.“
„Ich möchte wissen, was an dem Verhalten des Hundes verrückt war“, sagte Karl ruhig. „Es ist die normalste Sache von der Welt, daß Hunde beißen. Da geht einfach das Blut ihrer Vorfahren mit ihnen durch und schlägt haushohe Wellen in dem Meer ihrer Instinkte. Sie stammen ja schließlich von Wölfen ab.“
„Der Hund hat mit dem Schwanz gewedelt“, sagte Guddel, „zum Zeichen, daß er es gut mit dir meint, und dann hat er dich gebissen! Das ist unnormal, und zwar ganz auffällig.“
„Och, du spinnst ja“, knurrte Karl. „Aber gesetzt den Fall, der blöde Köter hätte mich tatsächlich mit Tollwut infiziert, was macht mir das schon aus? Dann bin ich eben ‘ne Zeitlang wütend, spiele den wilden Mann, trete euch ein paarmal in den Hintern, schmeiß’ in der Schule die Scheiben ein und so was, aber dann werde ich mich schon wieder beruhigen, ich kenne mich doch!“
„Karl“, sagte jetzt Egon sehr ernst, „du solltest den Biß nicht auf die leichte Schulter nehmen. Tollwut ist gefährlich. Wenn der Hund dich angesteckt hat, mußt du sofort zum Arzt und dich impfen lassen. Soweit mir bekannt ist, hat man nach dem Biß noch genau vier Stunden Zeit, sich eine Spritze verpassen zu lassen. Danach ist es zu spät, da retten dich keine zehn Pferde mehr!“
Nun wurde Karl doch ein wenig unsicher.
„Ihr könnt einem aber ganz schön die Feierabendlaune verderben“, sagte er leise. „Wie soll ich denn innerhalb von vier Stunden zu einem Arzt kommen, habt ihr euch die Frage schon mal gestellt?
Heute ist Sonnabend, da sind alle Ärzte ausgeflogen und feiern das Wochenende.“
„Einer hat bestimmt Dienst“, rief Guddel, „Notdienst! Wir leben doch hier nicht in der Wüste! Am besten ist, wir jagen erst einmal zu dir nach Hause, sagen deinen Eltern, was passiert ist, und rufen bei der Unfallstation des Krankenhauses an. Los, wir dürfen keine Zeit verlieren! Jede Minute kann kostbar sein!“
Nach einem letzten Blick auf das Ortsschild von Hinnebeck wandten sie sich um und preschten davon.
Eine halbe Stunde später hielten sie atemlos vor Karls Elternhaus.
„Karl ist möglicherweise mit Tollwut infiziert worden“, erklärte Guddel seiner Mutter.
„Er muß sofort zum Arzt und sich eine Spritze geben lassen!“
„Um Gottes willen!“ rief Frau Buchholz. „Gerade jetzt, wo unser Hausarzt Urlaub hat!“
„Dann muß eben ein anderer Arzt kommen“, rief Guddel, „Hauptsache, es geht schnell.“
„Ja, ja, natürlich“, sagte Frau Buchholz, „kommt herein, wir sehen mal nach, wer ihn vertritt!“
Frau Buchholz suchte nach dem Notdienst- und Bereitschaftsplan der Ärzte und Apotheken. Sie fand ihn in der Schublade des Schreibtisches und blätterte sofort aufgeregt darin herum.
„Dr. Märzenbecher?“ rief sie überrascht. „Den Namen hab’ ich noch nie gehört! Wer ist das denn?“
„Das ist doch egal!“ drängte Karl. „Ruf ihn an, und bestell ihn her! Und sag ihm, er soll die Tollwutspritze gleich mitbringen, es ist ein Eilfall!“
„Wollt ihr nicht mit ihm sprechen?“ fragte Frau Buchholz. „Ihr könnt ihm doch
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