Karl der Große: Der mächtigste Kaiser des Mittelalters - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
das lateinische Wort »imperium« aber kann vieles heißen. Es bedeutet »Kaisertum«, aber auch »Macht« oder »Befehlsgewalt«, »Befehl« oder »Anordnung« – oder ganz konkret: »militärisches Kommando«. So belegt die »Kölner Notiz« keineswegs zweifelsfrei, dass Irene und Karl über das Kaisertum verhandelt haben.
Die kryptische Bemerkung Einhards, das merkwürdig verpatzte Attentat auf Leo, die schwer erklärliche Flucht des Papstes, das Spitzengespräch von Paderborn, dessen Inhalt nicht überliefert ist, die verspätete Reise Karls nach Rom, endlich die widersprüchlichen Berichte über den Krönungsakt und die uneindeutige »Kölner Notiz«: Aus diesem trüben Gemisch müssen Historiker eine einigermaßen plausible Geschichte formen.
Aber schlimmer noch: Im 21 . Jahrhundert interessieren an einer solchen Geschichte vor allem die Ziele, Motive, Absichten der Akteure, auch die Hintergründe und Ursachen des Geschehens. Gerade diese Fragen aber blendeten die Zeitgenossen Karls aus, auf deren Aussagen die Historiker zurückgeworfen sind. Weder der Frankenkönig selbst noch einer seiner Vertrauten hat uns überliefert, ob Karl überhaupt Kaiser werden wollte – und wenn ja, warum eigentlich. Weder Leo III. selbst noch einer seiner römischen Geistlichen hat uns überliefert, warum der Papst Karl zum Kaiser gekrönt hat.
Was bleibt, sind Annäherungen. Jeder Historiker fügt erst die rätselhaften, auch widersprüchlichen Splitter von Informationen über das Geschehen der Jahre 799 / 800 nach bestem Wissen und Gewissen zusammen. Dann füllt er jene Lücken, die in der Überlieferung klaffen, dergestalt aus, dass er eine plausible, ja möglichst interessante Geschichte zu erzählen vermag. Jedes Ergebnis bleibt zwangsläufig These – an Thesen aber hat es keinen Mangel. Der Paderborner Mediävist Jörg Jarnut beispielsweise hat vermutet, Karl habe das Attentat auf Leo geplant, zumindest aber billigend in Kauf genommen. Auf diese Weise habe Karl den Papst in eine Position der Schwäche manövrieren wollen, die es ihm selbst erlaubte, die Kaiserkrone zu erhalten. Jarnuts Frankfurter Kollege Johannes Fried hat auf die »Kölner Notiz« verwiesen und die Ansicht vertreten, Karl habe schon seit 798 mit Irene über das »imperium«, das »Kaisertum«, verhandelt. Weil er die Machtfülle eines Kaisers innegehabt habe, sei es für Karl wichtig gewesen, auch den Titel »Kaiser« zu erhalten. Denn die gottgewollte Ordnung habe gefordert, dass eine Sache und ihr Name übereinstimmten. Karl habe diese Ordnung wiederherstellen wollen, weil er das Jüngste Gericht nahe glaubte.
Wieder anders hat es der Oxforder Mediävist Henry Mayr-Harting gesehen: Karl habe nach jahrzehntelangen, opferreichen Kämpfen in Sachsen im Kaisertum eine Möglichkeit erblickt, die störrischen Sachsen endlich in seine Herrschaft zu integrieren. Einem König der Franken hätten die Sachsen sich nicht unterwerfen wollen. Weit leichter aber hätten sie einen Kaiser, der viele Völker regierte, als ihren Herrn akzeptieren können. Sie hätten dann gleichsam auf Augenhöhe mit den Franken gestanden.
Die Überlieferung erlaubt aber auch eine viel nüchternere Sicht: Karls Kaisertum könnte ebenso gut Resultat gewesen sein einer unvorhersehbaren Folge unerwarteter Ereignisse, Gerüchte, soliden Halbwissens und unintendierter Nebenwirkungen von Entscheidungen, die auf derart schlechter Informationsbasis hatten getroffen werden müssen. Der späte Bericht des Höflings Einhard wäre dann zwar pointiert. Aber der kleinwüchsige Franke aus dem Maingau hätte doch etwas Wesentliches getroffen: Karl war vielleicht kein Kaiser wider Willen; aber er könnte ohne Plan recht geschickt in sein Kaisertum hineingestolpert sein.
Dickhäuter auf Weltreise
Der Elefant, den Kalif Harun al-Raschid Karl zum Geschenk machte, war ein Symboltier: für muslimischen Reichtum, aber auch für den Traum von einer strategischen Partnerschaft.
Von Sebastian Borger
Ein Elefant! Ein leibhaftiger Elefant! Sollte in Brüssel demnächst ein Marsmännchen als neuer Welthandelsbeauftragter präsentiert werden – die Aufregung könnte größer nicht sein als damals beim Anblick des riesigen Rüsseltiers. Wer als Europäer in jenen Jahren 801 / 802 sein zumeist extrem kärgliches und kurzes Dasein fristet, hat kaum Abwechslung vom Alltag. Keine Tierfilme, keine Zoo-Besuche, schon gar kein Internet. Allenfalls hohe kirchliche Feiertage mit dazugehörigen Volksfesten mögen,
Weitere Kostenlose Bücher