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Karl der Große: Der mächtigste Kaiser des Mittelalters - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Karl der Große: Der mächtigste Kaiser des Mittelalters - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Karl der Große: Der mächtigste Kaiser des Mittelalters - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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neben der obligatorischen Warnung vor ewiger Verdammnis, ein wenig irdische Freude mit sich bringen. Und nun dies: Schaut der Bauer vom Feld, die Wäscherin von ihren Zubern, der gelehrte Mönch von seinen Büchern auf, schiebt sich plötzlich ein unbekanntes, gigantisches Lebewesen ins Blickfeld, begleitet von buntgewandeten, dunkelhäutigen Gestalten, einen Tross von Versorgungskarren und Neugierigen um sich. Je nach Standort kann der Anblick 20 Sekunden gedauert haben, wie ein Fiebertraum, kaum glaubhaft. Oder der Zug machte gerade halt – schließlich nehmen Elefanten ihre üppigen Mahlzeiten lieber in Ruhe zu sich. Dann wäre Zeit gewesen, den Koloss zu begaffen.
    Hartnäckige mögen den fremdländischen Begleitern entlockt haben, dass dieser Elefant einen Namen hatte, der auf seine Herkunft hinwies: Abu al-Abbas hieß er, benannt nach dem Gründer der Abbasiden-Dynastie, die im fernen Bagdad über ein riesiges, unermesslich reiches Imperium gebot. Nun befand sich der wohl in Indien geborene graue Riese auf Weltreise in diplomatischer Mission, als Geschenk des berühmten Kalifen von Bagdad, Harun al-Raschid, an Karl den Großen. Man zog zur Kaiserpfalz des Frischgekrönten, nach Aachen.
    Was Augenzeugen zwischen Porto Venere an der ligurischen Küste, wo die merkwürdige Reisegruppe an Land gegangen war, und Aachen den Rest ihres Lebens beschäftigte, stellte selbst für die karolingische Führungsschicht eine Sensation dar. Historiker haben darauf hingewiesen, dass Abu al-Abbas in den zeitgenössischen Annalen des fränkischen Hofes immerhin viermal vorkommt. Damit stellt er sämtliche Frauen des Königs und Kaisers in den Schatten, die in den offiziellen Dokumenten nur am Rande erwähnt werden. Abu al-Abbas blieb ein Unikum, jahrhundertelang. So ist die Prominenz des Elefanten leicht erklärlich: Er symbolisiert einen kuriosen, eminent modern wirkenden Aspekt von Karls Herrschaft. Der erste mitteleuropäische Kaiser überschritt die Grenzen seines Kontinents und betrat die weltpolitische Bühne. Die »demonstrative Diplomatie Karls«, glaubt die Cambridger Historikerin Rosamond McKitterick, könnte als Teil der Konsolidierung seiner Eroberungen verstanden werden.
    Tatsächlich hatte sich der Franke bis dahin kriegerisch gezeigt: Feldzüge anführen, Italien einnehmen, die ungebärdigen Sachsen massakrieren, die Awaren besiegen – in den gut 30 Jahren seiner Herrschaft ab 768 wirkt Karls Außenpolitik eher eindimensional. An zwei Grenzen war der fränkische König auf harten Widerstand gestoßen: Im Südwesten machte er unangenehme Bekanntschaft mit der neuen, sehr dynamischen Weltreligion des Islam; im Osten brachte sein Bündnis mit dem Papst ihn in Gegensatz zum Kaiser in Byzanz. Was lag da näher als der diplomatische Kontakt zu Ostroms östlichen Nachbarn, als Beziehungen mit der noch ferneren Weltmacht?
    Politisches Anbandeln zwischen Aachen und Bagdad – man muss sich das wohl etwa so vorstellen wie den Schachzug des US -Sicherheitsberaters Henry Kissinger zu Beginn der siebziger Jahre. Der schickte nach monatelanger Geheimdiplomatie seinen Präsidenten Richard Nixon zu Besuch nach China, was im Duell mit der Sowjetunion neuen Spielraum einbrachte. Ein klassisches Manöver im internationalen Powerplay – auch insofern waren die Karolinger Realisten. Vom vielzitierten Kampf der Kulturen keine Rede: Der Machtbereich des Kalifen lag zu weit entfernt, als dass sich Karl hätte bedroht fühlen können. Im Gegenteil: Nach dem bewährten Motto »Der Feind meines Feindes ist mein Freund« wollten die Karolinger mit ihrem Ausflug in die globale Politik gewiss Druck ausüben – auf das oströmische Reich, das immer für eine unerfreuliche Überraschung gut war, aber auch auf die Umajjaden-Dynastie in Spanien, wo der sonst so erfolgsverwöhnte Franke 778 unrühmlich hatte abziehen müssen. Das Massaker an seiner Nachhut in Roncesvalles habe auf den Herrscher »zweifellos einen tiefen Eindruck gemacht«, schreibt der schwedisch-deutsche Orientalist Walther Björkman: »Vielleicht hat diese trübe Erfahrung seine ganze weitere Islampolitik entscheidend beeinflusst.« Jedenfalls hütete Karl sich mehr als 20 Jahre lang vor weiteren Händeln in Spanien.
    Die gleichen Motive – Byzanz in die Zange nehmen, die spanische Flanke freihalten – darf man auch Karls Gegenüber Harun al-Raschid unterstellen. Als Nachfolger des Propheten Mohammed habe Harun sich als Auserwählter gefühlt, glaubt dessen Biograf André

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