Karl der Große: Der mächtigste Kaiser des Mittelalters - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Clot; alle anderen Machthaber konnten in seinen Augen niemals mehr sein als Vasallen. Gewiss, man ließ die Nachbarn in Frieden, machte ihnen gar Geschenke und umschmeichelte sie mit Begriffen wie der »amicitia«. Aus Sicht der Araber aber kam dies lediglich der Aufnahme in den engsten Kreis der Hauptvasallen gleich, keineswegs einer Beziehung auf Augenhöhe. Harun war auch tatsächlich mächtiger, reicher, klüger: Während sich der Kalif mit griechischer und persischer Philosophie beschäftigte, konnte Karl wohl kaum seinen eigenen Namen schreiben. Dennoch scheint der nervöse, stets Gefahren für sein Riesenreich witternde »Anführer der Gläubigen« nüchtern kalkuliert zu haben, es könne nicht schaden, den offenbar nicht ganz unbegabten Barbaren tief im Westen bei Laune zu halten. Von beiden Seiten also klassische Einkreisungs- und Absicherungspolitik.
Beide traten zudem in die Fußstapfen der Vorfahren. Karls Vater Pippin hatte 765 eine Gesandtschaft nach Bagdad geschickt. Drei Jahre später kehrte sie reich beschenkt zurück, mit einer muslimischen Delegation im Gefolge, die ihrerseits Freundschaftsgaben erhielt. Schon damals habe Pippin die Abbasiden zu einer Allianz unter Einschluss des Papstes gewinnen wollen, mutmaßt der US -Historiker Francis Buckler. Und schon damals habe sich der geplante Bund einerseits gegen das christliche Byzanz, andererseits gegen die muslimischen Umajjaden richten sollen. Weil die Quellen nicht viel hergeben, kann das aber nur eine Vermutung sein.
Rund 30 Jahre später befand sich Karl auf dem Zenit seiner Macht, auf dem Sprung zur Kaiserwürde. Nahm da der sagenhafte Reichtum Haruns, später in » 100 1 Nacht« märchenhaft ausgemalt, in Karls Plänen eine prominente Rolle ein? Verhandelten Karl und Harun über konkrete politische Ziele, die über ein freundliches Abtasten hinausgingen? Das sei zwar »nicht ganz ausgeschlossen oder undenkbar«, urteilte Björkman 1965 , könne aber angesichts der dürftigen Dokumente nicht »schon jetzt« entschieden werden. Eilig sollten es Mediävisten grundsätzlich nicht haben; auch fast 50 Jahre nach dieser souveränen Absage an voreilige Behauptungen gibt es keine Neuentdeckungen arabischer Schriftzeugnisse, anhand deren sich der Wahrheitsgehalt karolingischer Propaganda überprüfen ließe. Möglicherweise gab es solche Dokumente nie. Wie wenig Bedeutung Harun und seine Berater dem Herrscher im wilden Westen beimaßen, lässt sich an den zeitgenössischen Quellen ablesen: Alle Erkenntnisse über Abu al-Abbas und die karolingisch-abbasidische Diplomatie stammen aus abendländischen Texten. Die fränkischen Reichsannalen, Einhards Leben Karls, die fabelhaften Erzählungen des Benediktinermönches Notker – allesamt lassen sie die Faszination spüren, die das Weltreich im Osten auf die Elite Mitteleuropas ausübte. In arabischen Texten jener Zeit: nichts. Dabei gehörten Reiseberichte und Wegbeschreibungen bei den Arabern ganz selbstverständlich zur »produktiven« Literatur, wie der Berliner Geschichtsforscher Michael Borgolte erklärt. Den islamischen Einflussbereich durchquerten immer wieder neugierige Reisende, sahen, notierten, berichteten der Heimat. Doch überschritten sie den riesigen Raum nur ausnahmsweise und zeigten »an christlich beherrschten Gebieten geringes Interesse«, schreibt Borgolte. Religiös bedingte Ignoranz verwehrt also den eminent wichtigen Blick von der anderen Seite des Sprach- und Kulturgrabens.
Im Westen blühte dafür bald nach dem Tod des Kaisers die Phantasie. Da sollen sich die Jagdhunde, die Karl dem Kalifen als Gegengeschenk für Abu al-Abbas habe zukommen lassen, auf der Löwen- und Tigerjagd so mutig benommen haben, dass Harun umgehend dem Frankenkaiser die Hoheit über Jerusalem einräumte. Jahrhunderte später bringt es der Kaiser sogar zu einer eigenen Reise nach Jerusalem, mit wundersamem Ausgang. Ach, und Abu al-Abbas war nicht einfach nur ein Elefant – ein besonders hochgeschätzter Albino sei er gewesen, ein doppeltes Unikat sozusagen. So lautet die hübsche Legende, die bis in die jüngste Zeit verbreitet wird: »Ex oriente. Isaak und der weiße Elefant«, nannte sich 2003 eine Ausstellung in der stolzen Kaiserstadt Aachen.
Achim Hack, Professor in Jena, räumt in seiner »Biographie eines Elefanten« mit derlei Erfindungen auf. Wo und wann das Rüsseltier »das Licht der Welt erblickt« habe, lasse sich nicht genau feststellen, schreibt der Forscher in seinem vergnüglichen Büchlein
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