Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)
gab, worauf sogleich zurückzukommen ist, einige dahingehende Überlegungen zu erkennen.
Die Sprache der erwähnten Dokumente unterschied sich grundlegend von den reformatorischen Akten zugunsten von Königtum und Kirche. Dort kamen Verben des Bittens zum Einsatz; der Herr bat seine Großen. Hier aber befahl er; er «wollte» und seine Leute «sollten»; hier erwartete er Gehorsam und nur er oder seine Gemahlin. Hier handelte der König als Hausherr; er gebrauchte die Sprache des häuslichen Rechtskreises. «Wir wollen, daß unsere Wirtschaftshöfe, die wir zu unserer Versorgung bestimmt haben, allein unseren Belangen dienen sollen und keinem anderen Menschen». «Wir wollen, daß sie im Garten alle Kräuter pflanzen». So begann und so endete das
Capitulare de villis
. «Daß kein Amtmann (
iudex
) sich unterfange, unser Gesinde in seinen Dienst zu nehmen…».
Wirtschaft will wachsen, auch damals. Eine beträchtliche Ertrags- und Leistungssteigerung der Wirtschaftshöfe verlangte allein schon die – für die Zeitgenossen kaum wahrnehmbar – trotz regelmäßiger Hungersnot wachsende Bevölkerung. Karl scheint zur detaillierteren Effizienzkontrolle ein neuartiges Mittel erprobt zu haben: die «Verhufung» nämlich der großen, seiner Oberaufsicht zugänglichen Grundherrschaften[ 24 ]. Er ließ dazu, soweit seine Ordnungsmacht reichte, in der königlichen Grundherrschaft und in den Königsklöstern, das Land nach «Hufen» einteilen (lat.
hubae
oder auch
mansi
), nach Betriebseinheiten, und in entsprechenden Verzeichnissen, Urbaren oder Polyptichen, erfassen.
20 Die Hacke war eines der wichtigsten Arbeitsinstrumente für den Feldbau (Stuttgarter Psalter)
Die Urbare verzeichneten räumlich geordnet den Besitz, die Bewirtschaftung und die Abgaben jeder einzelnen der erfaßten Hufen. Aus Karls Zeit ist kein Polyptichon erhalten, erst im 9. Jahrhundert setzte die Überlieferung ein. Die Struktur dieser kirchlichen Grundherrschaften dürfte dennoch durch Karl in wechselseitiger Anlehnung an die königliche Grundherrschaft reformiert worden sein, wie aus erhaltenen Abgabenmustern, den «Brevium exempla»[ 25 ], hervorgeht. Das Polyptichon des Abtes Irmino von St-Germain-des-Prés in der Île de France aus der Zeit Ludwigs des Frommen läßt in etwa das Ergebnis solcher Umorganisation erkennen; auch das Prümer Urbar, aus einem dem Königshaus unmittelbar unterstehenden Kloster, oder das älteste Urbar des Klosters Werden an der Ruhr (heute Essen), eine Gründung des hl. Liudger, geben, obgleich erst aus der Zeit um 900 überliefert, eine entsprechende Organisation zu erkennen. Werden lag am Hellweg, der wichtigen Altstraße von Duisburg über Dortmund nach Paderborn und weiter nach Sachsen, die Karl wiederholt zog. Diese Urbare wurden, soweit wir sie kennen, jeweils nur ein einziges Mal angelegt und nicht fortgeschrieben. Die Dynamik wirtschaftlichen Wandels, die auch im 8./9. Jahrhundert nicht fehlte, trat demnach nicht in den Blick und wurde kein Handlungsmotiv der Grundherren – trotz entgegengerichteter Bemühungen des Königs.
Die genaue Größe einer Hufe ist nicht überliefert; sie schwankte zudem nach Bewirtschaftungsart und Boden; in Gebieten mit Weinbau muß sie kleiner gewesen sein als bei Ackerbau oder Viehzucht. Gelegentlich wird heute eine Größe von ca. 10 ha vermutet[ 26 ].Wie immer, diese Hofstellen waren so bemessen, daß eine kleinbäuerliche Familie – ein Mann, eine Frau, bestenfalls ein Knecht und einige Kinder – mit ihren Kräften sie bewirtschaften, der Ertrag diese Leute nicht nur ernähren, sondern einen gewissen Überschuß abwerfen konnte. Viel größer als zehn Hektar wird demnach eine Hufe nicht gewesen sein. Derartige Verhufung förderte die Überschaubarkeit der Grundherrschaften, ließ die Höhe der Erträge und damit den Nutzen für den König und die übrigen Herren sicherer kalkulieren. Karl verlangte es eben gerade deshalb, «damit wir wissen können, worüber und über wieviel wir verfügen können»[ 27 ].
Die Formen der Abhängigkeit der Güter vom König variierten: Es gab in Eigenwirtschaft genutztes Gut (Salgut), Leihegut, mit dem Vasallen belehnt waren, an freie Bauern ausgegebenes Zinsgut. In der «Francia» dominierte ein bipartites Wirtschaften. Der Salhof mit seinen Ländereien wurde oftmals von Hunderten von Knechten («Manzipien») bewirtschaftet, während anderes Land, zahlreiche Hufen, an Freie oder an schollegebundene Kolonen ausgegeben waren. Diese Hufen
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