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Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)

Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)

Titel: Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Fried
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Ohren und weiteren Organen (Röm. 12,4 und 1Kor. 12,12–28), eine heilige Einheit. Die durch den Apostel gesegnete Imagination eines mystischen Körpers mußte die tausendfältige Lebenswelt bildhaft in ein überschaubares, christlich geformtes, soziales und institutionelles Ganzes bannen.
    Inmitten dieser Kirche, als ihr Glaubenswächter sie ordnend und leitend, sah sich der König. Die spirituelle Einheit bedurfte für ihre irdische Erscheinung seiner Fürsorge und seines Schutzes: Schutz für die vielen Kirchen und ihre Priester, für deren Besitz, für Klöster und Mönche, für den rechten Glauben und die seinetwegen erforderliche Bildung, für alle Christen und ihren Gottesdienst, Schutz auch für den Papst und die Apostelkirche in Rom. Die heilsnotwendige Friedensordnung wollte Karl verwirklichen; Friedensstiftung verstand er als seine dringlichste Aufgabe. So wuchs dem König eine Lenkungsmacht zu, die Kirche und Welt in Übereinstimmung bringen sollte, oder genauer: so zog er sie, der Not der Zeit gehorchend, an sich.
    Eine scharfe Trennung von weltlich und geistlich, von «Königtum» und «Kirche», kannte Karl nicht; sie verbot sich damals von selbst. So war auch sein «Königtum» (
regnum
) eingebunden in die Kirche, deren Haupt Christus war. Die Geschichtsschreiber der Epoche, gefangen in den Traditionen ereignisbeschreibender Jahrbücher, schwiegen von religiösen Glaubenswelten und den Zielsetzungen, die sie weckten. Doch Karls Kapitularien und die Kanones seiner Synoden kündeten wieder und wieder davon; das zitierteSchreiben an den Papst Leo deutete die Königsherrschaft und den Einsatz der Königsgewalt geradezu als Gottesdienst. Solche
militia
vereinte Krieg und Frieden, legitimierte die Kriege gegen Heiden und Ungläubige, gegen die Feinde Sankt Peters, legitimierte auch die Gewalt gegen jedweden Friedens- und Eidbrecher im eigenen Reich. Herrschaft als Gottesdienst rechtfertigte somit, ja, segnete Karls gewaltsames Vorgehen gegen die Sachsen und Langobarden, auch gegen seinen Vetter Tassilo. Denn «der Schöpfer aller Dinge hatte ihn (Karl) für immer zum Triumphator bestimmt»[ 6 ].
    23 Reiterstatuette, vermutlich Karl der Große, 9. Jahrhundert, heute im Louvre zu Paris
    Neben dieser «Kirche», von der Karl oder Theodulf sprachen, traten, ohne daß Karl sie vernachlässigte, die drei oder vier anderen Seiten der Reichsordnung zurück: das Königshaus mit demKönigsgut und seiner Bewirtschaftung, das Heer und das Gericht. Das mag eine Folge der zwar relativ günstigen, insgesamt aber dürftigen Überlieferung sein, die einseitig kirchliche Hinterlassenschaften bevorzugte, während Weltliches nur dann eine Chance hatte tradiert zu werden, wenn es rechtzeitig in kirchliche, zumal in klösterliche Archive gelangte[ 7 ].
    Doch ein spezifisch politisches, ein die divergierenden Interessen der Gesellschaft ausdifferenzierendes Denken existierte damals noch nicht oder nicht mehr. Das «Reich» war kein Subjekt, «Politik» keine reflektierte Handlungskategorie, «Reichspolitik» eine ferne, zukünftige, einstweilen undenkbare Größe. Jahrhunderte mußten noch ins Land ziehen, bevor es sich ändern sollte. «Kirche» indessen als übergreifende gottgestiftete Einheit und «Königshaus» (
palatium, aula, domus regis
) als ordnungsstiftendes Zentrum der «Königsherrschaft» und ihres Geltungsraumes (
regnum
), dazu das «Volk» der Franken und andere «Völker», sie formten den semantischen Rahmen, innerhalb dessen Karl mit seinen Zeitgenossen sich orientierte und seine Welt ordnete[ 8 ]. «Kirche» war ihnen die ungeteilte Einheit von Seelenheil und Herrschaftspraxis.
    Hinter Alkuins Formulierung in dem Schreiben an Leo III. stand Karls erprobter Wille, das in diesem Brief umrissene Konzept zu realisieren. Keine leeren, bloß diplomatischen Floskeln sollten den eben erhobenen Papst begrüßen, vielmehr notwendige, vom König immerzu erfüllte, von Leo zu erfüllende Aufgaben. Das anspruchsvollste, höchste, seit langem verfolgte Ziel königlicher Herrschaftswaltung wurde dem Stellvertreter Petri zu Information und neuerlicher Segnung übermittelt, eben Schutz und Stärkung für Kirche und Glaube. «Eurer Heiligkeit», so hieß es in jenem Königsbrief an Leo noch, «vertrauen wir unser und aller unserer Getreuen Seligkeit an und bekunden wir die in Gottes Willen friedenstiftende Eintracht unseres ganzen Reiches». Tag für Tag möge der Papst den Apostelfürsten um die Festigkeit der Kirche,

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