Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)
Bruders. Karl übertrug ihm nun (aus Familiengut) das kleine Kloster St-Dié in den Vogesen, auf daß dort durch zehn oder fünfzehn Mönche ein Gebetsgedenken für ihn selbst, Karl, und den Verstorbenen eingerichtet werde – ein Gebet für Lebende und Tote, das weder «Tag noch Nacht» verstummen und über den Tod hinaus wirksam bleiben sollte[ 23 ]. Auch St-Dié lag im Reichsteil des Bruders. Die Gabe sollte zweifellos Fulrad, den einstigen Kanzler seines Vaters, für ihn, Karl, einnehmen, mochte aber zugleich als Affront gegen Karlmann verstanden werden, dem das Gebet der Mönche anscheinend nicht galt. Wem würde Gott sich gnädig erweisen?
Der Krieg gegen die Sachsen, der ja zugleich ein Krieg gegen Heiden und damit ein Krieg für die Ausweitung der Herrschaft Christi war und damit wiederum der Kirche weiten Gewinn bringen sollte, hatte verheißungsvoll im Jahr 772 mit der Zerstörung der Irminsul begonnen[ 24 ]. Nun mußten Taufe, Glaubensverkündung, Priester und Pfarreien den Truppen folgen, die Ordnung des Landes nach den Normen der Kirche. Der Bischof Lull von Mainz dürfte den König dabei beraten haben. Nur die Unterwerfung konnte dieses unverständige, widerspenstige, heidnische Volk zum Heil zwingen. Die Heilsvermittlung scheute keine Gewalt, aber diese richtete sich gegen die fremden Kulte, nicht gegen die Menschen, deren Seelenheil es zu schützen galt.
Die Einsicht vermehrten Handlungsbedarfs hatte sich durch die Erfahrungen vertieft, die Karl in den langen Monaten seines ersten Italienzuges hatte sammeln können. Sie zeitigten ja nicht nur militärischen Erfolg über die Langobarden. Damals begegnete Karl vielmehr ein zweites Mal «Rom», dem kirchlichen, dem sichtbaren und kulturstiftenden Rom. Dieses Rom aber bot wegweisende Winke, an denen Karl sein Handeln ausrichten konnte, eben katholisch, tugendgeleitet, nach dem Maß seiner Seele.
Sichtbar wurde es, als Karl zu Ostern 774 in der ewigen Stadt von dem Stellvertreter Petri empfangen wurde[ 25 ], empfangen wie der frühere Exarch von Ravenna, der Vertreter des Basileus: Das hatte symbolische Bedeutung. Der Franke rückte protokollarisch in dieeinstige Stellung der «Rhomäer», der «Griechen», der «Byzantiner» ein, wenn auch nicht ganz. Denn der Exarch residierte in Rom auf dem Palatin, innerhalb der aurelianischen Mauern; Karl aber hatte sein Quartier bei S. Petronilla genommen, mithin außerhalb der Stadt[ 26 ]. Doch fortan führte er den Titel des
Patricius Romanorum
, von dem die Karolinger zuvor keinen Gebrauch gemacht hatten, und dokumentierte damit, daß er sich Rom herrschaftlich verbunden wußte[ 27 ]. Nichts, so hielt Einhard fest (c. 27), wünschte Karl sehnlicher, als die Autorität Roms durch sein Werk zu erneuern und die Kirche des Apostelfürsten zu schützen und zu schmücken.
24 Fresko aus der Kirche S. Maria Antiqua am Fuß des Palatin. Die Kirche liegt heute in Ruinen, zu Karls Zeit war sie eine der wichtigsten Kirchen der Stadt.
Karl verpflichtete sich dem hl. Petrus, seinem Vikar und der römischen Kirche. Freund wolle er, Karl, ihren Freunden, Feind ihren Feinden sein. Er habe es gemeinsam mit seinem Vater geschworen. Der Papst Stephan III. erinnerte ihn an diese Selbstbindung, als er Karls Ehe mit der Langobardin anklagte[ 28 ]. Der junge König folgte im wesentlichen diesem Eid. Als Gegengabe verlangte er Segen und Schutz des Apostelfürsten, das Gebet seines Vikars, und dieses erforderte die Übereinstimmung mit den Geboten der Kirche – ein spiritueller Gabentausch als Voraussetzung erfolgreicher Herrschaft. Hadrian I. gemahnte wiederholt daran. Die Päpste riefen diesen Tausch Karl zumal dann ins Gedächtnis, wenn sie seine Kirchenleitung zu weit in Glaubensfragen vordringen sahen und sie den königlichen Glaubenshüter in Schranken weisen wollten; und sie taten es nicht zuletzt, um einen symbolischen Schutzwall gegen die unmittelbare Herrschaft des Frankenkönigs über die
res publica Romanorum
, die verbliebenen Trümmer des byzantinisch-römischen Herrschaftsgebietes um die Stadt Rom, zu errichten.
Erste Schritte zur Erneuerung wurden tatsächlich damals in Rom eingeleitet. Denn Karl erbat sich noch während seines Besuches von Hadrian eine Kirchenrechtssammlung, wie sie die römische Kirche benutze. Der Papst beeilte sich, der Bitte nachzukommen, und ließ eine «Dionysiana», die historisch geordnete Rechtssammlung, die vor Jahrhunderten der römische Abt Dionysius Exiguus kompiliert hatte, um
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