Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)
Einhard-Spruches sind damit freilich noch nicht gelöst. Karl strebte ja seit einigen Jahren auf das Kaisertum zu. Weder die Beteiligung des Papstes noch die Akklamation durch die Römer als
Imperator Romanorum
konnten ohne sein Einverständnis erfolgt sein. Nichts erlaubt, Karls Krönung als Mißgriff des Papstes zu deuten. In den Überlieferungen prallten keine unterschiedlichen Auffassungen über die Form und das Wesen der Erhöhung aufeinander, eine fränkische und eine römische, auch wenn die Darstellungen divergierten. Der Bericht der «Reichsannalen» und seine Wiederholung durch die «Metzer Annalen» sprechen eindeutig dagegen. Doch divergierten, wie die jeweils erwähnten und nichterwähnten Details verraten, die nachträglichen Deutungen.
Karls angebliche Aversion gegen den Kaisernamen, den der Franke tatsächlich gar nicht verschmähte, verweist, wie man annehmen muß, auf einen anderen historischen Kontext und nicht auf den realen Weihnachtstag des Jahres 800. Der Biograph leitete mit seiner rätselhaften Bemerkung vom «Plan des Papstes» (
pontificis consilium
) über auf die Geduld seines Helden gegenüber den «römischen Kaisern», die ihm den Kaisernamen neideten. Kein zweites Mal hieß Einhard die sonst «Griechen» genannten Byzantiner «Römer». Nun aber: attestierte er seinem eben zum Römerkaiser gekrönten Helden Geduld mit den «römischen Kaisern» (
Romanis imperatoribus
).
Eben gerade noch, in demselben Kapitel seiner Biographie (c. 28), hatte Einhard von den «Römern» gesprochen, jenen nämlich, die tatsächlich am Tiber hausten und auf den Papst Leo ein Attentat verübt hatten, als er diesen Namen den Herren Konstantinopels konzedierte. Er folgte damit deren offizieller Selbstdeutung. Das kann nur als Reflex auf die Anerkennung Karls als «Kaiser» durch den «Kaiser der Römer» (βασιλεὺς τῶν ʿPομαίων) imJahr 812 verstanden werden[ 178 ]. Karls Ausspruch, wenn er denn historisch ist, fiel offenbar in diesem Kontext. Hatte der Franke damals, um mit Byzanz Frieden zu schließen, alle Schuld an seiner «römischen» Kaiserwürde auf den Papst und dessen «ärgerliches» Handeln abgewälzt? Hatte er im folgenden Jahr die ‹romlose› Kaisererhebung seines Sohnes entsprechend begründet? Oder hatte sich nachträglich unter Ludwig dem Frommen, als Einhard seine «
Vita Karoli
» schrieb, um 828, laute Kritik an einer vom Papst gelenkten und explizit auf Rom und die Römer bezogenen Kaiserkrönung erhoben, die der Biograph auf seinen Helden zurückdatierte und damit legitimierte?
Wie immer: Die Zeugnisse aus dem Frankenreich und aus Rom divergierten in eklatanter und damit höchst verräterischer Weise. Gemeinsam war den Darstellungen der «Reichsannalen» und des «Liber Pontificalis» sowie zum Teil auch der «Lorscher Annalen» nur die Peterskirche als Ort der Krönung, die Krönung mit einer doch wohl von Karl zur Verfügung gestellten Krone, war der nahezu identische Wortlaut der Akklamation durch die Römer und die Übertragung des «Kaisernamens» und war der Titel eines «Kaisers der Römer». Die Unterschiede freilich sind nicht minder gravierend; sie dürfen keinesfalls ‹hinwegharmonisiert› werden. Gerade sie verweisen auf eine jeweils andere Sicht, auf einen unterschiedlichen Sinn des Geschehens und auf divergierende Intentionen der Protagonisten. Sie offenbaren deren abweichende Ziele und die Mittel, die sie – und sei es nur historiographisch, im nachhinein – einsetzten, um zu erreichen, was sie wünschten. Alles aber wurde geschichtsmächtig.
Der «Liber pontificalis» hatte schon Karls kaisergleichen Empfang beim 12. Meilenstein verschwiegen und überging nun die Adoration, die beide der «Reichsannalist» festhielt, und mit der letzteren zugleich die in aller Öffentlichkeit sichtbar gemachte Unterordnung des Pontifex unter den neuen «römischen Kaiser». Das Papstbuch hob statt dessen die Abfolge der Krönung vor der Akklamation hervor, betonte Karls Schutzpflicht gegenüber der römischen Kirche und durch zweimalige Nennung die Bindung des neuen Kaisers an den schlüsseltragenden Apostelfürsten und anseinen Vikar. Der Kaiser erschien nun eher als der Schutzvogt der römischen Kirche denn als ihr Herr. Die fränkischen
Laudes
mit ihrem knappen
Vita
-Ruf für den Papst und den langen «Leben und Sieg»-Rufen für den Augustus, seine Söhne, für die fränkischen Großen und das Heer der Franken[ 179 ], somit für die Fremdherrschaft in
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