Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)
erschien gleichsam als Herr der Kaiserkrönung. Vielleicht salbte er sogar den neuen Caesar; wahrscheinlich ist es nicht. Nur der spöttelnde Grieche Theophanes (AM 6289 = AD 796–797) karikierte: Leo habe den Franken als Gegenleistung für die Bestrafung der Attentäter «von Kopf bis Fuß mit Olivenöl gesalbt, mit kaiserlichem Ornat und einer Krone bekleidet»; kein westlicher Zeuge wußte davon. Wie dem aber sei, ohne Karls Zustimmung hätte kein Liturg handeln können. War aber Leos Handeln tatsächlich konstitutiv oder nur bestätigend?
Nördlich der Alpen kursierte noch eine andere Version, die dem Papst und den Römern eine deutlich geringere, jedenfalls eine andere Rolle zuwies. Sollte ihre Darstellung Unzufriedenheit unter den Franken mit dem Geschehen in Rom zum Ausdruck bringen? Ihre Herkunft ist unklar, obgleich ihr einziger Repräsentant, die sog. «Lorscher Annalen», ebenfalls dem Kaiserhof nahe stand. Weil damals bei den Griechen der «Kaisername» vakant gewesen sei, so hieß es nun im Anschluß an den Bericht zu der großen Versammlung in der Peterskirche, und da sie ein (skandalträchtiges) «Weiberkaisertum» hätten (
femineum imperium
), schien es dem Papst Leo, allen Teilnehmern der Synode und dem übrigen Christenvolk (
reliquo christiano populo
) recht, «den Frankenkönig Karl
Imperator
zu nennen. Denn er besaß Rom, wo stets die Caesaren residiert hatten, und besaß die übrigen Kaisersitze in Italien, Gallien und Germanien. Weil der allmächtige Gott ihm diese Sitze in seine Gewalt gegeben habe, deshalb schien es ihnen recht, daß er mit Gottes Hilfe und auf Bitten des gesamten Christenvolkes diesen Namen trage». Karl habe dieser Bitte entsprochen – es muß am 23. oder 24. Dezember gewesen sein – und habe an Weihnachten«nicht ohne Weihe des Papstes» (
cum consecratione domni Leonis papae
) den «Namen
Imperator
» angenommen.
Hier handelte im Konsens mit den Genannten der König und
Princeps
; ja, hier geschah der entscheidende Akt im Anschluß an die Dezembersynode oder während derselben, zu der sich im wesentlichen Bischöfe aus dem gesamten Karlsreich versammelt hatten. Er bestand in der vom Konsens aller Großen, auch der Laien, getragenen Übernahme des «Kaisernamens», was hieß: In der Wiederherstellung der rechten, gottgewollten Ordnung, welche Macht (
res
) und Bezeichnung (
nomen
) in Übereinstimmung verlangte[ 165 ]. Die Römer spielten allenfalls eine untergeordnete Rolle; und von einem «römischen Kaiser» verlautete kein Wort. Rom, das alte Haupt der Welt, sah sich vielmehr den übrigen «Kaisersitzen» gleichgestellt, mithin abgewertet. Entsprach diese Darstellung Karls Vorstellung von seiner Erhöhung zum Kaiser? Näherte sie sich mit ihrem «gesamten Christenvolk» dem
imperium christianum
, auf das Alkuin gedrängt hatte[ 166 ]? Hatte auch Karl ein solches geplant? Spiegelten sich überhaupt in der ‹Lorscher› Darstellung weniger nachträgliche Kritik als Planungen? Wie sie etwa in Paderborn im Jahr 799 oder seither vorbereitet worden waren?
Die Zuweisung des Kaisernamens durch das christliche Volk und Karls Einverständnis überlieferte allein dieser Annalist; sie muß deshalb nicht bezweifelt werden, im Gegenteil: Ohne Karls explizite Zustimmung wäre jede Kaiserkrönung hinfällig gewesen. Dieser Geschichtsschreiber war gut informiert. Er legitimierte die Kaiserwürde politisch, sparte dabei die Römer aus und stellte die Übernahme des Kaisernamens als einen konsensualen Akt von Papst, Synode, Grafen, Christenvolk und Frankenkönig dar, dem eine bestätigende «Benediktion» durch den römischen Pontifex folgte. Deren Ritual überging der Berichterstatter. So gab es nun keine Akklamation, keine Laudes, ja, nicht einmal eine Krönung.
Diese Regie erinnerte an die nun bald fünfzig Jahre zurückliegende Erhebung Pippins und seiner Söhne zu Königen, wie sie etwa ein Jahrzehnt zuvor in der Erstredaktion der «Reichsannalen» beschrieben wurde. Karls Intention könnte in der Tat entsprechend ausgesehen haben: Ein konsensuales Kaisertum aus eigenerMacht, wie es seit 797/798 vorbereitet worden war, eines, das alles «Christenvolk» lenken sollte, eine Übertragung des rechten, jetzt des «Kaisernamens» wie damals des «Königsnamens» gemäß der realen Macht, eine rationale, notwendige Ordnungsstiftung, wie sie die eben eingeübte Dialektik gebot und durch die päpstliche Krönung ihre Bestätigung fand[ 167 ]. Denn «das Wesen eines Namens ist, daß
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