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Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)

Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)

Titel: Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Fried
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Rom, versteckten sich hinter der «Anrufung mehrerer Heiliger» im «Liber Pontificalis»; derselbe machte offenbar die ‹politischen›
Laudes
zu einer ‹unpolitischen› Heiligenlitanei.
    Alle diese Momente verraten eine Meisterschaft Leos III. und seiner Helfer weniger in liturgischer Dramaturgie als vielmehr in der nachträglichen historiographischen Umdeutung des Geschehens, die eine bedrückende Abhängigkeit in befreiende Überordnung zu verwandeln vermochte. Denn jetzt war nicht mehr Karl der Herr des Geschehens, sondern allein der Papst. So sollte es die kommenden Jahrhunderte gelten. Das Papstbuch verbreitete diese Sicht; sie diente nicht bloß der internen römischen Information; sie fand vielmehr durch die Verbreitung des «Liber Pontificalis» jahrhundertelang weitgestreute Kenntnis im Frankenreich, in Frankreich und Deutschland, in der gesamten lateinischen Christenheit; sie gewann als ‹Präzedenzfall› geradezu kanonische, rechtsverbindliche Geltung. Noch zu Karls Lebzeiten könnte die Leo-Vita den Aachener Hof erreicht haben[ 180 ]; vielleicht zielte Karls von Einhard kolportierter Ausspruch tatsächlich dagegen. Die jüngere Krönungstradition tat ein übriges, um die Kaiserwürde vollends in die Hände des Papstes zu legen, indem sie auf die Akklamationen durch das Volk ganz verzichtete.
    Der Sinn dieser Krönung, das Wesen dieses welthistorischen Umbruchs in der langen Herrschaftszeit Karls des Großen, versteckt sich somit hinter auseinanderdriftenden Wünschen, unterschiedlichen Deutungen und Erinnerungen der Beteiligten. Immerhin läßt sich annähernd mit Karls vorweihnachtlicher «Imperatoren»-Designation durch Papst, Synode und das gesamte christliche Volk, mit Karls Gebet vor der
Confessio
des Apostelfürsten während der dritten Weihnachtsmesse, mit der folgenden Krönung, mit der Akklamation durch die Römer und wahrscheinlich ohne eine Salbung ein äußerer Ablauf erkennen. Karl und sein Liturg aber folgten mit dieserOrdnung ohne Einschränkung dem Ritual der byzantinischen Kaisererhebung.
    Was immer Karl intendiert hatte, und wie immer der Ablauf der Krönung und ihre Beurteilung ausgefallen war: Es galt als ein römisches Kaisertum, das am Weihnachtstag 800 erneuert worden war, als keines bloß «der Römer»[ 181 ]. Die Datierung von Leos Urkunden setzte fortan Karls Kaiserjahre vor die Pontifikatsjahre des Papstes; auch dessen Denare nannten fortan den Kaiser. Geld freilich war vergänglich. Niemand pochte später auf das Zeugnis der Münzen. Karl und sein Sohn Pippin, der italische König, indessen dürften die Symbolik der Prägungen aufmerksam beachtet haben.
    Der neue Kaiser mochte in der eben erlangten Würde den Gipfelpunkt seiner Herrschaft erkannt, seine ihm nun zugefallene Aufgabe als universaler Schutzherr der Christenheit angenommen haben, doch die langanhaltenden Folgen seiner weihnachtlichen Krönung konnte er schwerlich erahnen. Mit ihr begründete der Franke eine Tradition, die bis zur Kaiserkrönung Friedrichs III. im Jahr 1452 reichte, ja, der Intention nach bis zu Karl V. und seiner Krönung durch Clemens VII. in der Bürgerkirche von Bologna, San Procolo (1530). Sie überdauerte damit auch das Vorbild, den wahrhaftigen «Kaiser der Römer» (βασιλεὺς τῶν ʿPομαίων), dessen Reich 1453 Mehmed der Eroberer ein Ende bereitete. Wirksam blieb die Erneuerung der Kaiserwürde des Westens allerdings weit über ein Jahrtausend, bis zum Jahr 1806, und, wenn die Nachfolger als «Kaiser» mit gerechnet werden – l’Empereur des Français, der Kaiser von Österreich, el Emperador de México, der Deutsche Kaiser, the Empress of India – bis ins 20. Jahrhundert.



5

Ein neuer Feind: «Nordmänner»
    s galt sich zu wappnen. Von außen und innen zogen Gefahren herauf. Zumal im Norden schreckten fremdartige Feinde, die nur mühsam abzuwehren waren, und die Karl durch Verträge vonden Reichsgrenzen abzuhalten suchte. Auch im Süden herrschte eine ungewisse Lage. Zwar war die Stadt Barcelona unlängst (803) gegen die Feinde des Christenglaubens erobert worden, doch die Gefahr, die von Spanien her und aus Afrika drohte, damit nicht gebannt; die Zurückgeschlagenen sannen auf Vergeltung und überfielen mit ihren Flotten die Inseln im Mittelmeer und die Küsten Galliens. In Italien widersetzten sich die Beneventaner Karls Herrschaft. Die häresieverdächtigen Griechen kämpften im Südosten des Reiches, in Venedig und Dalmatien, gegen die fränkische

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