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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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und frohgemuten Muttis über die winzige Tanzfläche. Ich saß hinten am Bullauge und trank Bier aus einem Pappbecher. Matthäus hatte gesagt, es ginge alles auf seine Rechnung.
    Als er Pause hatte, setzte er sich zu mir. Er hatte alte verfilzte Klamotten an und roch nach defekter Dusche. »Karla Breitarsch, wat is los?«, fragte er, als er mein Gesicht sah. »Bisse nich mehr im Dienst von Ihre Durchlaucht?«
    »Doch«, sagte ich, »aber ich habe eine Identitätskrise.«
    »Meinze, du wärs für ne Putzfrau zu musikalisch?«, fragte Matthäus und leerte seine Bierflasche in einem Zug.
    »Das auch. Und außerdem weiß ich überhaupt nicht, wozu ich nütze bin.«
    Matthäus haute mir seine schmutzige Pfote auf die Schulter und tröstete mich: »Ich hab auch keine Ahnung, zu was ich nütze bin.« Er lachte. »Jetzt biste schon genauso weit wie ich.«
    »Wie meinst du das?«, fragte ich ganz entsetzt.
    »Du hast das Studium geschmissen, verdienst kein Geld, hast keine Beziehung und keine Freunde. Du bist nichts von Beruf und lebst so in den Tag hinein«, sagte Matthäus. »Genau wie ich. Und bist am Saufen.«
    Ich wollte einwenden, dass ich im Unterschied zu ihm regelmäßig dusche, aber ich dachte, das führt jetzt zu nichts.
    »Muss jetzt wieder spielen«, sagte Matthäus. »Freu mich echt, dass du da bist. Wir sind aus einem Holz, du und ich.«
    Das gab mir sehr zu denken. Ich knibbelte an einem eingeweichten Bierdeckel herum und starrte hinaus auf den schmutzigen grauen Fluss. Matthäus spielte gerade das alberne Entenlied, bei dem die Leute sich immer bemüßigt fühlen, mit den Armen zu wedeln und mit dem Hintern zu wackeln. Ich wäre gern ausgestiegen, weil ich diese dümmliche Fröhlichkeit nicht aushalten konnte, aber das Schiff fuhr weiter. Ende gegen ein Uhr, hatte es auf der Schiefertafel draußen an der Anlegestelle geheißen. Bis dahin musste ich durchhalten, wohl oder übel.
    Da gesellte sich ein Mensch zu mir, der wohl meinte, ein Mädchen wie ich dürfe beim Ententanz nicht fehlen. »Wollemer danze?«, fragte er mich und ich schüttelte den Kopf.
    »Warum net?«, fragte der Mensch.
    »Darum net«, sagte ich knapp.
    Der Mensch setzte sich neben mich auf die abgewetzte Holzbank. »Was tringese?«, fragte er. Er roch nach billigem Rasierwasser und hatte einen Pickel auf der Schläfe. Eigentlich war es eher eine Warze, was darauf schließen ließ, dass sich sein äußerer Zustand über kurz oder lang nicht ändern würde.
    Ich erklärte ihm, dass ich nicht zum Tanzen hier sei, sondern dass ich gewissermaßen zum Personal gehöre.
    »So a süßes Mädele sitzt muffelig in dr Eck und will net tanze!«, wunderte sich der Vergnügungsreisende. »Derf mer sich denn e Weilsche dazusetze?« Ich gestattete es ihm großmütig, da er sowieso schon saß. Es entwickelte sich dann ein Nullachtfuffzehn-Gespräch von der üblichen Sorte, und als wir uns nach kurzer Zeit nichts mehr zu sagen hatten, tanzte ich doch noch etwas mit ihm. Er packte mich ungeschickt bei den Schultern und knickte unrhythmisch in den Knien ein, wobei er intensive Billigparfumwolken ausdünstete. Als Matthäus schäbig grinsend eine langsame Weise spielte, presste er mich an seine schmale Brust und schob mir sein Bein an den Beckenknochen. Ich war froh, als Matthäus endlich wieder eine Pause machte.
    »Wat waa dattenn fürn Aasch?«, fragte er mich, als wir an unseren hinteren Tisch gegangen waren. Er öffnete zwei Bierflaschen mit den Zähnen und drehte sich danach eine krumme krümelige Zigarette. »Willze auch eine?«
    »Nein danke, mir ist schon schlecht.«
    »Kaala, warum hasse dich dem Schwachkopp abgegeehm?«
    Ich trank mein Bier und sagte nichts. »Der einzige Schwachkopp, mit dem de dir weiter abgeehm sollz, bin ich, klaa?«
    Er knallte sein Glas auf den Tisch. Dann ging er wieder an seine Alleinunterhalterorgel. Ich verbrachte den Rest der Schiffsreise allein oben an Deck und starrte auf die vorbeiziehenden Lichter und auf den schwarzen Fluss. Drinnen im Bug wurde gejubelt und geklatscht.
    Warum kann ich nicht wie Marie sein? Woran fehlt es mir denn?
    Willem hat uns gestern wieder am Sandkasten abgeholt. Ich hatte unbändiges Herzklopfen, als ich Olga mit schäumendem Maul auf uns zurasen sah. Willem hatte wieder seine weiße Vanille-Eis-Kluft an. Er setzte sich zu mir auf den Sandkastenrand.
    »Ich möchte mit dir reden, Karla.«
    Jetzt, dachte ich, jetzt. Und schloss die Augen, falls er mich küssen würde.
    Er sagte aber: »Ich habe

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