Karlas Umweg: Roman (German Edition)
Ahnung … aber willst du denn heiraten? Gehst du weg?«
»Nein«, erwiderte ich strahlend, »ich bleibe! Ich weiß doch, wo ich hingehöre!«
»Na, dann ist es ja gut«, sagte Willem und ging weiter.
Er schaute noch am Zeitungsständer, ob die neuen Fußballergebnisse schon da waren, aber es gab noch keine.
»Freust du dich, dass ich bleibe?«
»Natürlich«, sagte Willem. »Wir haben uns alle an dich gewöhnt. Nicht wahr, Maximilian?« Maximilian grinste und haute mit seiner Schippe nach mir. Olga zerrte keuchend weiter.
Viel redeten wir auf dem Heimweg nicht mehr. Willem sagte nur, dass Maximilian jetzt schon vier Schritte alleine gehen könne und wirklich immer süßer würde. Und dass Olga wirklich ein anstrengender Hund sei, aber dass sie natürlich auf einen starken Wachhund angewiesen seien. Ich sagte zu allem ja und amen und dachte, das bringt jetzt wahrscheinlich nichts, wenn ich ihm sage, dass ich ihn liebe.
Zurlinde hat mich gestern völlig überraschenderweise von seiner grauen Vorzimmermaus in sein Büro im Konservatorium bestellen lassen. Ich ging mit zitternden Knien hin, weil ich fürchtete, Frau Quark hätte ihm doch noch eine Szene gemacht und ich bekäme jetzt den Zorn des Göttervaters auf mein Haupt.
Zurlinde wollte sich jedoch nur bei mir bedanken. »Sie haben da neulich eine delikate Angelegenheit für Ihre Freundin geregelt«, sagte er und malte mit seinem Edel-Kugelschreiber infantile Zeichnungen auf sein Briefpapier.
»Nicht der Rede wert«, wehrte ich bescheiden ab.
»Ich fürchte, ich habe Sie damals nicht gebührlich behandelt«, sagte der Herr Direktor zu seinen albernen Strichmännchen.
Die graue Vorzimmermaus steckte ihren Kopf zur Tür herein und verkündete, dass ein Gespräch auf Leitung drei sei. »Tokio«, sagte sie, »wollen Sie von nebenan sprechen?«
Zurlinde lächelte unendlich großväterlich und sagte, dass Tokio sich einen Moment gedulden solle. Ich war mir meiner wahnsinnigen Wichtigkeit in dem Augenblick bewusst.
»Kann ich irgendetwas für Sie tun?«, fragte er mich über den Rand seiner Lesebrille hinweg.
»Wie meinen Sie das?«, fragte ich zurück. Ich dachte, er könnte vielleicht Marie heiraten, damit ich Willem bekomme, aber da Tokio auf Leitung drei war, wagte ich nicht, ihm solch einen zeitraubenden Vorschlag zu unterbreiten.
»Nun, wenn Sie mit Ihrer Klavierprüfung Schwierigkeiten haben sollten«, sagte der Herr Direktor, »oder wenn Sie vielleicht den ein oder anderen Leistungs-Schein für Ihre Zwischenprüfung brauchen …« An dieser Stelle erhob er sich, schließlich wartete Tokio auf Leitung drei, und schritt zur Tür. »Sie können es sich gerne überlegen«, zwinkerte er mir zu, »vielleicht haben Sie zurzeit nicht so viel Gelegenheit zum Üben. Bei Ihrer Zwischenprüfung könnte ich ein bisschen nachhelfen.« Damit verschwand er im Nebenzimmer, um Tokio entgegenzunehmen. Ich sah durch die Tür einen Schimmer von der grünen Handtasche und den dazu passenden grünen, hochhackigen Pumps. Marie wird im Konservatorium also als Tokio auf Leitung drei gehandelt.
Marie hat sich im Wohnzimmer eingeschlossen und stundenlang geübt. Sie war fürchterlich aufgeregt und hat immer wieder gerufen: »Ich kann das nicht, ich kann überhaupt nicht singen, seid doch ruhig im Haus, der Maximilian macht mich wahnsinnig, geht denn niemand mit ihm in den Sandkasten?« Leider regnet es wieder und der Sandkasten ist ein Schlammloch. Ich gehe also wieder mit Max zu den Saubären.
Vorher musste ich Marie noch Beruhigungstabletten aus der Apotheke holen. Sie nimmt sie immer mit Sherry, das lockert ungemein auf, sagt sie, und dann hat sie nicht mehr solche Versagensängste.
Den Unsinn mit den Versagensängsten hat ihr wohl der Holzapfel eingeredet, denn bevor sie mit dem Mann stundenlange Selbstergründungssitzungen hatte, hatte sie nie welche. Er hat ihr so ein Zeug aufgeschrieben, von dem sie heiter und gelassen wird. Davon nimmt sie jetzt vor den Auftritten immer eine kleine Dosis.
Frau Pfefferkorn hat angerufen und mich gefragt, ob ich wieder einmal bei ihr Gesangsstunden begleiten will. Also habe ich wieder im altbackenen Wohnzimmer mit den unnötig mit Deckchen verzierten Möbeln und den Stolperfallen von Teppichvorlegern auf dem Klavierhocker gesessen und mir die Tonleiter und Stimmübungen angehört.
In der Pause bot sie mir sofort einen Pulverkaffee mit Süßstoff an. »Mädchen, was sind Sie mager geworden! Sie wirken ja richtig ausgehungert!«
Ich
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