Karlas Umweg: Roman (German Edition)
Familienangelegenheiten an?
Jetzt geht’s raketenmäßig los mit Maries Karriere. Ein Wahnsinns-Einspringer! Für eine erkrankte Kammersängerin, eine berühmte. Marie kriegt einen Fernsehauftritt! In einer Quiz-Show! Die sehen zwölf Millionen Zuschauer, im Bestfall, sagt Marie. Und was das für ihre weitere Karriere bedeute, sagt Marie, das sei sensationell. Und zwar hat der kleine dralle Tenor, mit dem sie gestern in der Probe zu einem städtischen Oratorium so herzlich lachte, eine Freundin, die als Statistin beim Fernsehen arbeitet. Durch deren Beziehungen dürfen drei Mitglieder der städtischen Kulturszene in einer Show auftreten. Der Produzent einer Unterhaltungssendung wünscht eine Dame, einen Herrn und einen Geiger. Von jedem Geschlecht also einen.
Der Tenor, der Clemens Matulka heißt, hat augenblicklich Marie dazu auserkoren, zusammen mit ihm in der Show aufzutreten. Als Geiger kommt eigentlich nur Harald Gernhaber in Frage, weil er einem solchen Instrument recht wohl klingende Töne zu entlocken vermag. Ganz klar: die drei sind ein Team. Der Produzent ließ durch seine Assistentin ausrichten, dass das beliebte Duett »Mich/Dich gibt’s nur einmal, Ich/Du komme/kommst nicht wieder« aus der Operette von Eberhard Kahlmann mit dem viel versprechenden Titel »Der treue Husar« thematisch gut in seine Quizsendung passen würde, da der Kandidat sich auf das Leben und Treiben jenes beliebten Operettenkomponisten spezialisiert habe und mit seinem Wissen ein Reihenhaus zu gewinnen trachte.
Marie und Matulka begaben sich also augenblicklich in das Gemeindehaus der städtischen Kulturszene, um ihr Duett zu proben. Ich bot ihnen an, sie am Klavier zu begleiten, doch beide meinten, sie müssten szenisch arbeiten. Dabei muss es zu außermusikalischen Zwischenfällen gekommen sein. Jedenfalls habe ich die abwechslungsreiche Aufgabe, jenem Herrn Clemens Matulka die Strumpfhose von Marie wieder abzutrotzen, die er als Trophäe mit zu seiner Statistin in die gemeinsame Altbauwohnung genommen hatte.
»Geh zu Matulka und behaupte, es sei deine«, beauftragte mich Marie beim Verzehren des Frühstückseies am Tag nach jener Probe. »Dann kommt der arme Clemens erst gar nicht in die peinliche Lage, seiner Freundin erklären zu müssen, woher die Strumpfhose stammt!«
»Meinst du, ihm fällt keine passendere Ausrede ein?«
Es kommt selten vor, dass Marie sich um Leute Sorgen macht, die nicht zufällig Marie von Otten heißen.
»Du weißt doch, dass Tenöre dumm sind«, sagte Marie und widmete sich wieder ihrem Ei.
»Ja klar«, sagte ich, »das ist bekannt.«
Es war gar nicht schwer, mit Hilfe meines ausgeprägten Intellekts an die Strumpfhose zu gelangen. Als ich nämlich todesmutig die Klingel der Altbauwohnung betätigt hatte, schnellte schon der Arm der Statistin heraus und knallte mir die Strumpfhose vor den Wanst. Viel unkomplizierter also als die Szene vor dem selbstgezimmerten Zurlinde’schen Bungalow! Gut, dass ich mich diesmal nicht verbal mit ihr anlegen musste!
Ich stand im Treppenhaus und atmete tief durch. Das war ja noch mal glimpflich abgegangen! Man stelle sich vor, die wasserstoffblonde Statistin hätte einen Wortbeitrag von mir gefordert! So aber konnte ich Marie die Trophäe alsbald ins Hotel bringen. Sie würdigte das mit einem Lächeln. »Das ist meine einzige Reißfeste«, sagte sie und stopfte die Strumpfhose in ihre grüne Handtasche.
Mal sehen, was ich ihr als Nächstes wiederbringen darf. Vielleicht wirft sie mal ihren Ehering in einen Fluss? Ich würde mich freuen, danach tauchen zu dürfen.
Weil sie gerade so guter Dinge war, informierte sie mich noch über den Geiger. Er habe eine geradezu unheimliche Wirkung auf sie, gestand sie mir bei einem Glas Sherry aus ihrer Minibar. Heute habe er bei der Probe ein dermaßen traumhaftes Improvisato aus seinem Holzkasten gezaubert, dass ihr ganz wunderlich ums Herz geworden sei. Harald Gernhaber gedenke, eine ähnliche Aneinanderreihung von Tönen in der Fernsehshow abzulassen, insbesondere, wenn er dabei Marie in die Augen schauen dürfe. Auf diese Weise wolle er ihr vor zwölf Millionen Zuschauern seine Liebe offenbaren. Marie war verständlicherweise völlig bezaubert. Der Tenor, Clemens Matulka mit der Strumpfhose, war anscheinend bereits vergessen. »Ach, der Clemens ist doch reichlich pubertär«, sagte Marie versonnen, »seine Witzchen locken doch niemanden, der bis drei zählen kann, hinter dem Ofen hervor.«
Wenn es etwas gibt, was
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