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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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kann es nicht mehr hören.
    »Kriegen Sie denn bei den von Ottens gar nichts zu essen?«
    Um die Missbilligung der Mutter zu schmälern, erzählte ich freudestrahlend von dem neuesten Vertrag für Marie. Sie soll die Abschlussarien singen. Als besonderer Stargast. Der Dirigent hat sich die Carmen-Szene gewünscht. Mitsamt Kastagnetten auf dem Tisch.
    »Na, das kann sie ja«, sagte Frau Pfefferkorn.
    Die Höhe der Gage erwähnte ich nicht, aber ich nannte mit einem Stolz den Namen des französischen Staatsopernchefs, der das Salzburger Festspielorchester dirigiert.
    »Eugen Paterne von der Pariser Staatsoper«, sagte ich fröhlich. »Und wenn Marie ihm gefällt, lässt er sie die Carmen in Paris singen.« Frau Pfefferkorn sank auf den Küchentisch und stellte zitternd und klappernd die Tasse daneben. »Eugen Paterne?«
    »Ja«, sagte ich stolz, »ist das nicht eine Riesenchance für Marie? Sie sagt, der Mann kann ihr Türen und Tore öffnen.«
    »Eugen Paterne!«
    Die Pfefferkorn’schen Augen hinter den Brillengläsern wurden klein und schmal und dunkel.
    »Frau Pfefferkorn?«, fragte ich vorsichtig. »Ist alles in Ordnung?«
    »Eugen Paterne«, sagte Frau Pfefferkorn. Sie wiederholte den Namen noch mehrere Male und plötzlich wurde mir klar: Das musste er sein, der Erzeuger von Marie. Ich war nun genauso aufgeregt wie Frau Pfefferkorn und stellte meine klappernde Tasse zitternd neben ihre.
    »Ich wusste es. Eines Tages wird er wieder auftauchen. Ich wusste es.«
    Ich überlegte, ob es jetzt was bringen würde, sie zu fragen, warum sie nicht einfach schon viel früher Kontakt zu ihm aufgenommen hätte, aber das war jetzt wohl nicht angebracht.
    Frau Pfefferkorn murmelte noch mehrmals, dass sie es gewusst habe, dass er eines Tages wieder auftauchen würde, dass jetzt der Tag kommen würde, auf den sie so lange gewartet habe, und dass nun die Abrechnung beginnen würde. Ich wollte sie bei ihrem Gemurmel nicht stören und ging ins Wohnzimmer. Schließlich stand da ein Klavier, auf dem ich ungestraft herumspielen durfte, solange Frau Pfefferkorn in der Küche mit dem Murmeln beschäftigt war.
    Dann kam ein Schüler – es war der näselnde Tenor, der immer so ungewaschen roch und stets in alternativen, selbst gestrickten Wollpullovern steckte – und wir mussten uns zusammenreißen. Er sang »Fremd bin ich angezogen, fremd zieh ich wieder aus« oder so ähnlich. Frau Pfefferkorn unterbrach ihn nicht ein einziges Mal. Er durfte alle vierundzwanzig Lieder der Winterreise vor sich hin knödeln, ohne dass sie mit ihm schimpfte. Als er fertig war, war die Gesangsstunde um. Frau Pfefferkorn vergaß sogar, ihm auf den Flur zu folgen und die üblichen fünfzig Mark bar auf die Hand zu fordern. Auch mich schob sie anschließend zur Tür hinaus.
    »Sie sagen Marie kein Wort davon, ist das klar?«
    »Na gut«, sagte ich.
    Als ich schon im Treppenhaus war, rief sie mich noch einmal zurück. »Und auch sonst keine Silbe zu niemandem!!« Dann knallte sie die Tür hinter mir zu.
    Das ist natürlich eine qualvolle Zumutung. Hoffentlich kann ich mich jetzt wochenlang beherrschen! Marie wird doch pausenlos von diesem Eugen Paterne schwärmen. Wenn sie anfängt ihr Glas zu küssen, muss ich mir ernsthaft Sorgen machen.
    Matthäus hat einen neuen Job, auf einem Ausflugsdampfer auf der Spree. Er sagt, er spielt dort für die saufenden Touristen humba täterää und ich kann jederzeit gerne mitkommen. In der Post war ein Brief von Ludger. Blöderweise hat Willem bemerkt, dass ich Post von Ludger gekriegt habe. Er hat mir den Brief mit spitzen Fingern die Treppe raufgereicht und gesagt: »Ein Liebesbrief für Karla!« Ich hätte den Brief gerne vor seinen Augen aufgegessen, aber ich dachte, das bringt jetzt auch nichts mehr. Ludger schrieb, dass ich mich doch als Frau von Gefühl und Reife herauskristallisiert habe.
    »Noch nie ist mir eine so zwiespältige und doch rührend ehrliche Frau begegnet wie du, Karla«, schreibt er. »Ich spüre jeden Tag mehr, wie ich dich aus meinem Leben gar nicht mehr wegdenken mag.« Und so weiter. Obwohl sein Brief am ersten April geschrieben ist, scheint er es nicht als Scherz gemeint zu haben. Dagegen hilft nur noch eine Fahrt mit Matthäus auf einem Ausflugsdampfer. Und viel Alkohol.
    Matthäus saß an so einem Alleinunterhalter-Tasteninstrument und dudelte alle Melodien des zwanzigsten Jahrhunderts herunter, die auch nur entfernt mit Stimmungsmache zu tun haben. Einige Touristen schwenkten mit ihren dicken

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