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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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ihm essen gehen will?
    Zum ersten Mal sang Marie die Arien auf Französisch. Extra für Paterne und Paris! Wie intellektuell und klug sie doch ist! In der Originalfassung hört sich das Ganze auch viel erotischer an, finde ich, und außerdem sollte jede Darstellerin der Carmen in Zukunft nur noch ein blassgelbes Reisekostüm tragen. Es putzt ungemein.
    Paterne war wie erwartet sehr angetan. Er sagte nämlich zu Marie, dass er gern über die Gestaltung der Rolle mit ihr allein sprechen wolle, und dass der Herr Pianist gehen könne. Echtwein litt wie ein Wurm.
    Mit hängenden Schultern schlichen wir davon, der Herr Pianist und ich, störten wir doch nur die künstlerisch geladene Atmosphäre. Für mich ist das ja nichts Neues, ich komme schon recht gut damit klar, dass ich irgendwo störe und mich unauffällig verdrücken muss, aber für Echtwein ist das nach wie vor eine unbeliebte Übung. Es ging ihm dermaßen an seine männliche Eitelkeit, dass er tatsächlich begann, mit mir zu reden. Freiwillig! Er sprach mit mir! Privat, meine ich! Ich war dermaßen überrascht, dass ich ihn in seine bevorzugte Kneipe begleitete, ein gläsernes Bistro mit dünnbeinigen übertrieben hohen Höckerchen und Tischen, an denen man einen Blattsalat mit Shrimps und solche überflüssigen Neureichen-Delikatessen vertilgen kann. Das taten wir dann auch, aber Echtwein bekam vor lauter Appetitlosigkeit noch nicht mal das tote Meeresgetier herunter. Er tat mir schrecklich leid, wie er da so ohne Rückgrat wie verkochter Spargel auf dem dünnbeinigen Hocker saß und seinen Salat nicht anrührte.
    »Sie kann es nicht lassen, sie kann es einfach nicht lassen!«, stammelte er fassungslos und rührte in seinem Cocktail.
    »Was kann sie nicht lassen?«, fragte ich vorsichtshalber, obwohl ich schon weiß, was Marie nicht lassen kann.
    »Sie hat ihn richtiggehend provoziert«, sagte Echtwein verbittert.
    »Aber nein«, sagte ich tröstend. »Sie hat nur die Carmen interpretiert! Das gehört zum Stück!«
    »Quatsch mit Soße!«, grunzte Edwin. »Sie hat noch niemals so die Carmen gesungen! Das war ja ausgesprochen übertrieben! So kriegt sie den Alten auch nicht auf ihre Seite! Ins Bett kriegt sie ihn, aber in Paris nimmt er die Sterz!«
    »Aber Herr Echtwein!«, sagte ich tadelnd. »Wie reden Sie denn von Marie! Ich denke, Sie sind befreundet!«
    »Be-FREUN-det!«, schnauzte Echtwein mich an und brachte fast sein Cocktailglas zu Fall. »Ich LIEBE sie, schon immer, und das wissen Sie genau!«
    »Schreien Sie doch nicht so«, sagte ich leise. »Die Leute verstehen das hier völlig falsch!«
    »Kann JEDER hören!«, brüllte Echtwein und schubste im emotionalen Affekt seine Salatschüssel quer über den Tisch. »Ich habe nichts zu verbergen! Ich liebe sie! Ich habe mich für sie scheiden lassen! Weil das die Bedingung war! So ist das!«
    Der alternative Edel-Softie hinter dem Tresen hörte auf, Gläser zu polieren und starrte uns an. Ein paar Pärchen an den anderen Tischen blickten gespannt zu uns herüber. Ich wurde sehr rot, weil die ganze Sache jetzt echt die Ausmaße eines ausgewachsenen Missverständnisses annahm.
    »Aber Herr Echtwein!«, versuchte ich es noch einmal im Guten. »So mäßigen Sie sich doch!«
    »Ich will mich aber nicht mäßigen! Ich liebe sie! Bis zum Wahnsinn! Mein ganzes Leben habe ich für sie hingeschmissen! Und sie? Muss man es denn mit jedem, der einen Schwanz hat, treiben? Das ist unerträglich, UN-ER-TRÄG-LICH!«
    »Die Leute denken, Sie sprechen von mir!«, zischte ich. »Haben Sie das Beruhigungsmittel noch? Bitte machen Sie doch Gebrauch davon!«
    »Weiber sind doch alle gleich!« Edwin war nun völlig außer sich und schubste auch noch das Cocktailglas weg, sodass es an der Salatschüssel zerschellte.
    »Herr Echtwein!«, zischte ich und fasste ihn am Cordärmel. »Herr Professor Echtwein!«, fügte ich hinzu, der Leute und des falschen Eindruckes wegen, den diese durch seinen unkontrollierten Gefühlsausbruch ja bekommen haben mussten. »So kommen Sie doch wieder zu sich!«
    Er tat mir so wahnsinnig leid in seiner ungezügelten Leidenschaft! Plötzlich floss mein Herz über von Mitleid und mein Mund von tröstenden Worten. Vergessen waren die 2, 3, 4 Klavierstunden, die er mir nicht gegeben hatte. »Herr Echtwein«, sagte ich und fuhr mit dem Zeigefinger durch den ausgelaufenen Cocktail auf der Tischplatte. »Sie müssen sich in diesem Fall überhaupt keine Gedanken machen. Marie wird ganz bestimmt nichts mit

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