Karlas Umweg: Roman (German Edition)
Herrn Paterne anfangen!«
Echtwein sah mich mit geschwollenen Stirnadern böse an. »Wieso nicht?«, fauchte er beleidigt. »Bis jetzt hat sie noch mit jedem was angefangen, der sie nur nach der Uhrzeit gefragt hat!«
»Weil sie seine Tochter ist«, sagte ich sachlich. Wie schnell mir doch diese äußerst geheime Botschaft inzwischen über die Lippen geht! »Ja! Sie ist seine Tochter.«
Echtwein starrte mich an, als hätte ich einen Frosch ausgespuckt. Der Softie hinter dem Tresen und die anderen Paare starrten auch. Niemand brachte einen Lappen für den Cocktail oder machte sonst irgendetwas, das von der Angelegenheit hätte ablenken können. Ich hätte mir am liebsten die Zunge abgebissen. Ich hatte doch der alten Pfefferkorn geschworen, die Sache nicht weiter zu erzählen! Und nun wussten es schon drei verschiedene Leute! Aus meinem geschwätzigen Munde! Ich wollte doch nur nicht, dass ein Keil zwischen die beiden getrieben wird! Schließlich hatten sie doch ein Kind zusammen! Da wird man sich noch Jahrzehntelang zusammen raufen müssen! Der arme Echtwein musste doch auch an seine Zukunft denken!
Jedenfalls nahm er meinen Finger aus dem Cocktail, riss ihn an sein Cordhemd und sagte: »Schwören Sie das!«
»Paterne ist Maries Vater, so wahr ich hier sitze«, machte ich mich unnötig wichtig. »Ich weiß es von Frau Pfefferkorn. Marie weiß es nicht. Paterne weiß es auch nicht. Aber wir zwei wissen es.« Ich lächelte selbstzufrieden.
»Aha«, sagte Echtwein. »Paterne also.« Er ließ meinen Finger wieder los. »Klar, der war Ende der fünfziger Jahre bei uns in Berlin an der Oper als Korrepetitor.«
»Na also«, sagte ich fröhlich. »Dann ist ja alles klar. Machen wir uns keine Gedanken und gönnen wir Marie das wohl verdiente Wiedersehen mit ihrem Vater.«
Abwesend starrte Echtwein an mir vorbei. Dann rutschte er plötzlich von dem überlangen Hocker, knallte dem Wirt einen Schein auf den Tresen und verließ die Örtlichkeit.
Ich aß langsam und gedankenverloren seinen Salat mitsamt dem Meerestier auf. Auf einmal war ich mir nicht mehr sicher, ob es richtig von mir war, ihn in Frau Pfefferkorns und mein Geheimnis einzuweihen. Der Mann erwies sich doch als überraschend labil. Vielleicht hätte ich es mir doch lieber verkneifen sollen …? Ich fühlte mich gar nicht wohl in meiner Haut.
Ach, warum musste der Frosch der Geschwätzigkeit auch wieder aus meinem Munde kriechen! Könnte ich ihn doch an die Wand werfen und zum ewigen Schweigen bringen!
Diesmal wollte ich nicht die ganze Nacht im Hotel sitzen und rätseln, warum Marie nicht nach Hause kommt. Ich hielt es einfach nicht aus, alleine und im Unklaren zu sein. Der einzige Mensch, zu dem ich Vertrauen haben konnte, war Gernhaber, dieser Geigen sammelnde Harald, der zurzeit an einem Seminar über Geigenbau teilnahm. Marie hatte mir erzählt, dass er in der Jugendherberge wohnte, oben auf der Burg, und ruhelos und trostbedürftig lief ich dorthin. Die Jugendherberge schloss um zweiundzwanzig Uhr, und ich hatte Glück, noch eingelassen zu werden.
Harald Gernhaber saß im Gemeinschaftsraum und trank Früchtetee aus einer weißen dicken Tasse. Ein matschiger Teebeutel mit der Aufschrift »Fixbutte« lag zusammengekrümmt auf dem schmuddeligen Holztisch. Gernhaber schlürfte in kleinen Schlucken behaglich das anregende Gebräu und befingerte ein Holzstück, das er vermutlich zu einer Geige umgestalten wollte. Als er mich sah, zog er sich sofort seine Holzpantinen an, die er selbstvergessen unter dem Tisch geparkt hatte, und kam auf mich zu. Einige Jugendliche, die lärmend und schwitzend um die Tischtennisplatte rannten, hielten kurz inne, um mich anzublicken. In solchen Momenten schießt mir immer der eitle Gedanke durch den Kopf, ich sähe vielleicht gar nicht mehr so unattraktiv aus wie früher. Aber für solcherlei Hoffärtigkeit war kein Platz in diesen bewegten Zeiten.
»Hallo!«, sagte Gernhaber. »Wo ist Marie?« Ich erwähnte wohl bereits, dass ich die Frage nicht mehr hören kann.
»Ich weiß es nicht«, sagte ich.
»Ist was mit Marie?«, fragte Gernhaber und legte das Holzstück aus der Hand.
»Wird das eine Geige?«, fragte ich, um die Aufmerksamkeit von Marie abzulenken.
»Das wird eine Zarge«, sagte er.
»Aha, eine Zarge also«, gab ich mich fachkundig. Das gab mir den Mut, nicht zu verzargen. Wer Zargen bastelt, ist auch anderem weltpolitischen Geschehen gegenüber aufgeschlossen.
»Ich habe ein Problem«, leitete ich das Thema
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