Karlas Umweg: Roman (German Edition)
Säfte?« Mir wurde ganz schwindlig.
»Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente. Lebenselixiere eben. Er weiß genau, was mir fehlt.«
»Was fehlt dir denn?« Außer einer Tracht Prügel, hätte ich am liebsten hinzugefügt, aber es hätte ja sowieso nichts gebracht.
»Liebe.«
»LIEBE? Dir fehlt Liebe?«
»Ja, klar. Meine Mutter hat mich nie geliebt, und mein Vater natürlich auch nicht. Deshalb hole ich mir die Liebe ja auch anderswo. Voll logisch, oder?« Sie strahlte, als hätte sie das Ei des Kolumbus erfunden.
Nachdem Marie mir von ihren Abenteuern der letzten Nacht erzählt hatte, fiel ihr nämlich ein, wonach sie mich schon die ganze Zeit hatte fragen wollen: »Wie hat denn die Andere gesungen?«
»Grauenvoll.«
»Wirklich? Ganz ehrlich?«
»Absolutes Pianisten-Ehrenwort! Der Flügel sei mein Zeuge!«
»Und wie findest du ihn?«
»Super! Er war wirklich blitzsauber gestimmt, und samtweich im Anschlag und die schwarzen und weißen Tasten waren genau da, wo ich sie in Erinnerung ha…«
»IHN!! Eugen Paterne! Wie findest du ihn?«
»Nun ja, er ist ein berühmter Dirigent …«
»Und als Mann?«
»Als Mann … nun ja, das ist sicherlich Auffassungssache«, faselte ich und überlegte, wie ich Paterne als Mann finden würde, sollte ich mir darüber jemals Gedanken machen müssen.
»Ist er nicht UNWAHRSCHEINLICH???«
»Unwahrscheinlich was?«
»Ach Karla, du bist eben noch schrecklich jung«, sagte Marie mitleidig. »Komm du erst einmal in mein Alter. Es ist völlig klar, dass du dich nur für Typen wie Ludger interessierst. Völlig klar. Hab ich in deinem Alter auch getan.«
Ich wollte entgegnen, dass ich mich gar nicht für Ludger interessiere, aber Marie war bereits damit beschäftigt, sich darum zu sorgen, was sie bei der Klavierprobe mit Paterne anziehen sollte, jetzt wo er doch schon das Grüne UND das Violette kennt. Also ließ ich sie allein, weil sie sich konzentrieren musste. Wie gut, dass ich meinen Vater schon gut genug kenne, und mir nicht jedes Mal, wenn ich ihn sehe, ein neues Kostüm kaufen muss.
Marie wollte, dass ich bei der Klavierprobe umblättere. Sie hatte ihr blassgelbes Reisekostüm an, als sie in Echtweins Kastenwagen stieg, um zur Klavierprobe zu fahren. Ich bot mich schnell an, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren, weil ich das Gefühl hatte, Marie und Echtwein müssten erst ihren jüngsten Konflikt ausdiskutieren, bevor sie in der Lage waren, noch eine weitere Person in ihrem Kastenwagen zu dulden. Es hätte mir auch nichts ausgemacht, mit dem Bus oder der Pferdedroschke zu fahren, wie das hier in Salzburg üblich ist, aber Marie war überraschenderweise strikt dafür, dass ich im Kastenwagen mitfahre. Sie hatte keine Lust auf Streit mit Echtwein, weil sie ihre Stimme schonen musste.
Paterne hatte wieder diesen weißen Künstlerlook an, mit Stehkragen und folkloristisch bunter Zierstickerei am Saum. Ausgesprochen apart und außergewöhnlich kleidet sich dieser Mann, und ich bin ziemlich sicher, dass Marie von dem Russenkittel sehr beeindruckt war. Echtwein fiel in geradezu provozierend schlampiger Weise gegen ihn ab, im lappigen Hemd mit beigefarbenen Cordhosen, echt billig und fantasielos. Er ist eben kein Künstler, sondern bloß ein Handwerker. Sagt Marie auch immer. Das ist der feine Unterschied, der sich nur dem musikalisch Eingeweihten offenbart. Ein echter Künstler latscht niemals mit beigefarbenen Cordhosen daher und raucht völlig normale Filterzigaretten auf dem Flur. Echtwein ist kein bisschen außergewöhnlich. Von wegen Ente auf dem Teich oder tausend Stradivaris in der Heimwerkersauna. Der doch nicht! Was Marie nur an ihm findet! Jedenfalls zischte sie mir zu, dass ich mich gegebenenfalls um Echtwein kümmern solle, falls Paterne mit ihr in Ruhe und unter vier Augen die Carmen-Partie künstlerisch anlegen wolle. Ich hob kurz und knapp den linken Daumen, als Zeichen unserer wortlosen Eingeschworenheit.
Dann begann die Probe. Paterne hüpfte überraschend sportlich vor Echtwein auf und nieder, um ihn zu dirigieren. Das hatte er gestern auch mit mir gemacht, und wir hatten uns prima verstanden, Paterne und ich. Nur Sieglinde hatte dabei gestört. Marie war aufgeregt und räusperte sich und schüttelte über ihre mangelhafte sängerische Leistung immer wieder den Kopf und ich dachte, wann versteht Paterne denn endlich die Botschaft und bricht die Probe ab und sagt, dass die liebe gnädige Frau blass aussieht und vielleicht eine Kleinigkeit mit
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