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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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ohne viel Aufhebens verinnerlicht. Ein Auf-den-Punkt-Bringer aller erster Güte. Ich schnaubte herzhaft in sein Tuch und gab ihm auch das Blümchen wieder, das beinahe von der Burgmauer gesegelt wäre.
    »Wer ist denn ihr Vater?«, fragte Harald mitfühlend. »Vielleicht kann ich es ihr sagen! Oder ihm. Oder beiden!«
    »NEIN!«, rief ich entsetzt. »Frau Pfefferkorn will es Marie selber sagen, bei passender Gelegenheit!«
    »Ja, ist sie denn in Salzburg?«
    »Nein«, gab ich zu. »Sie weiß aber, dass Marie ihren Vater hier trifft. Und die Befürchtung ist nicht so abwegig, dass Marie …« Ich schluckte und heulte und konnte mich gar nicht mehr beruhigen.
    »Mit ihm schläft?«, fragte Harald.
    »Genau«, sagte ich und hörte auf zu heulen.
    »Ja dann …«, sagte Harald Gernhaber und kratzte sich den zugewachsenen Nacken.
    »Was machen wir denn da?« Wir schwiegen lange.
    »Und Sie wollen mir gar nicht sagen, wer Maries Vater ist?«
    Doch, doch, genau das wollte ich. Dafür hatte ich mich ja das steile Kopfsteinpflaster hinauf bemüht.
    Die Lichter blinkten, und die Bäume rauschten und der Mond leuchtete. Die Zarge lag auf dem Mäuerchen und war grau.
    »Paterne ist ihr Vater«, sagte ich. Es war ungeheuer erleichternd, es endlich sagen zu dürfen. Harald Gernhaber antwortete nicht. Ich hatte mit einer ähnlich fassungslosen Reaktion gerechnet.
    »Sie dürfen es Marie aber ganz bestimmt nicht sagen!«, rief ich dramatisch. »Das ist Frau Pfefferkorns Geheimnis!«
    »Ich kenne diesen Herrn leider nicht«, sagte Harald enttäuscht. »Wie sollte ich es ihr dann sagen?«
    »Sie KENNEN Paterne nicht?«, schrie ich den arglosen Zargenschnitzer an. »Eugen Paterne! Den Dirigenten der Pariser Staatsoper!«
    »Um Namen und Titel kümmere ich mich nicht«, sagte Gernhaber schlicht. »Mich interessiert nur das Material, das in einem Charakter steckt.« Er blickte auf die Zarge, und mir war nun endgültig klar, dass dieser Typ einfach zu gut ist für diese Welt.
    »Aber wie konnten Sie dann an Marie geraten?«, fragte ich ratlos. Gernhaber bewies die Gelassenheit eines echten Zargenschnitzers. »Marie ist ein wundervoller Mensch«, sagte er, und zerrupfte verträumt das getrocknete Blümchen, »ein richtiger Paradiesvogel. Man muss ihn nur fliegen lassen.«
    »Ja, aber ich muss dauernd ihre Paradiesvogelscheiße wegmachen«, murmelte ich verdrossen.
    Harald Gernhaber wollte solcherlei Dinge nicht mit mir diskutieren. »Ich tue für Marie, was ich kann. Jederzeit, bis ans Ende meines Lebens.«
    Etwas anderes hatte ich von Harald Gernhaber auch gar nicht erwartet. So ein Mann wie er liebt ganz und gar, mit Haut und Haaren. »Hier. Das ist was ganz Leichtes, Ungefährliches, Homöopathisches«, sagte ich und steckte Gernhaber ein Briefchen mit den Vettelhuberschen Pillen zu. »Geben Sie es Marie, wenn Sie glauben, sie hat es nötig. Von Ihnen geht eine so beruhigende Wirkung aus.«
    Gernhaber steckte die Pillen achtlos ein. »Ich glaube, ich muss jetzt schleunigst zurück in die Jugendherberge, sonst schließt der Herbergsvater die Tür ab und ich weiß nicht, wo ich meine Zarge heute Nacht unterbringen kann. Das Holz verzieht sich nämlich bei Feuchtigkeit und Kälte.«
    Damit setzte er sich in Marsch. Die Holzpantinen klapperten über das Kopfsteinpflaster. Ich stand noch ein paar Minuten am Mäuerchen und überlegte, ob ich mich hinunterstürzen sollte. Aber dann kam ich doch zu der Erkenntnis, dass es ungeheuer befreiend und erleichternd für mich war, mich endlich einmal einem Menschen anvertraut zu haben. Ich habe keinen Grund zur Verzweiflung. Morgen ist das Preisträgerkonzert. Marie braucht mich. Ich muss stark sein.
    Heute ist Maries großer Tag! Sie singt sich ein, in ihrer apricotfarbenen Badewanne. Obwohl sie behauptet hat, ein Profi singe niemals in der Badewanne, das täten nur Amateure. Aber sie ist sehr glücklich. Sie hat die Nacht mit Paterne verbracht! Paterne sei ein leidenschaftlicher Zocker, sagt sie, und sie seien bis zum Morgengrauen im Spielcasino gewesen. Ich solle es aber niemandem sagen, dass dieser weltberühmte Mann einer Spielsucht unterliegt. Sie findet es unglaublich rührend, dass er so kindliche leuchtende Augen kriegt, sobald sich das Glücksrad dreht. Obwohl er einige Hunderttausend Schilling verloren hat, waren er und Marie die ganze Nacht glücklich. Marie ist hingerissen von Paterne. Ich habe bang gefragt, ob sie … heute Nacht … noch etwas anderes getan hätten, als das Glücksrad

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