Karlo geht von Bord - Kriminalroman
an Inspiration, als er die letzte Tür aufzog. Er blickte in eine Art Büro. Ein nüchterner Schreibtisch mit heller Kunststoffoberfläche, dahinter ein Bürostuhl, eine kleine Couch mit grünem Samtstoff überzogen stand an einer fensterlosen Wand. Daneben ein Tischchen mit zwei leeren Bierflaschen darauf. Schräg gegenüber stand ein Flachbildfernseher auf einem Videotisch, darunter ein DVD-Player. An der Wand rechts neben dem Sofa gab es ein Bücherregal. Karlo trat näher und leuchtete das vollgestopfte Regal ab. Ein älteres Lexikon, einige unvermeidliche Klassiker der deutschen Literatur, vor allem aber eine Menge Kriminalromane. Timothy Holmes, John Dickson Carr – altes Zeug, aber auch Fred Vargas, Andrea Camilleri, Martin Beer, Frank Demant. Den einen oder anderen Namen hatte Karlo schon gehört, allzu viel sagte ihm die Sammlung allerdings nicht. Auf jeden Fall eine Menge Bücher mit Mord und Totschlag.
Wie passend.
Der Lichtkegel huschte zurück zum Schreibtisch. Ein großformatiger Kalender als Schreibtischunterlage. Ein Telefonapparat, ein Tesafilmabroller, Kugelschreiber, ein Stapel mit diversem Zettelkram, noch eine leere Bierflasche. Nichts Aufregendes. Leider. Karlo ging um den Schreibtisch herum. Etwas verstand er nicht. Es gab keinen Computer, keinen Laptop, nichts. Wurm hatte eine Website, musste Auftritte planen – da waren E-Mails doch hilfreich. Und es gab keinen PC? Seltsam. Er kramte in dem Stapel mit den Notizzetteln. Nichts, was ihm weiterhelfen würde. Mit der linken Hand tippte er die letzten drei gewählten Nummern herbei. Karlo legte sein Handy vor sich, notierte die Nummern auf die Rückseite eines der Notizzettel und steckte ihn ein. Dann bemerkte er den schwarzen Taschenkalender. Sofort begann er, darin zu blättern.
Im Kalenderteil gab es verschiedene Termineintragungen. Nun, die aktuellen Termine würde der gute Alfons Wurm nicht mehr wahrnehmen können. Auf den letzten Seiten befanden sich noch Adressen, Telefonnummern und einige Notizen. Karlo steckte das Büchlein ein.
Ein Geräusch an der Eingangstür ließ Karlo erstarren. Er griff nach seinem Handy.
„Gerri! Was ist da los?“
„Warum hörst du denn nicht, du Blödmann?“, kam die aufgeregte Frage zurück. „Gerade ist eine Frau ins Haus gegangen.“
Karlo unterdrückte den Fluch, der auf seinen Lippen bereitlag.
„Okay, bis gleich. Mach die Karre schon mal an“, zischte er und steckte das Telefon weg. Er schlich zur Tür des Büros und lauschte nach draußen in die Diele. Die Eingangstür wurde geschlossen. Ein polterndes Geräuch ließ vermuten, dass Beate Wurm sich auf nachlässige Weise ihrer Schuhe entledigte. Einen Augenblick war es still, dann hörte Karlo, wie sie begann zu telefonieren.
„Ellen? Hier ist Beate. Ich weiß, es ist spät. Hast du trotzdem Zeit für mich? Was? Ja, klar, aber es ist etwas Schreckliches passiert. Alfons ist tot. Ich kann jetzt nicht alleine sein. Bitte komm doch zu mir. Nein, nein. Das erzähl ich dir dann. Okay, bis gleich.“
Ein kurzer Augenblick der Stille folgte, dann fiel eine Tür ins Schloss. Beate Wurm schien im Bad verschwunden zu sein.
Er öffnete die Bürotür einen Spalt und lugte in die erleuchtete Diele. Der Weg war frei. Auf leisen Sohlen huschte er zur Wohnungstür und schlüpfte nach draußen. Man hörte nur ein leises Klicken, als er die Tür behutsam zuzog.
Gerri startete den Motor, als Karlo auf die Straße trat. Er warf sich auf den Beifahrersitz und schlug die Tür zu.
„Auf geht’s. Nichts wie weg hier!“
„Was war denn los? Hat dich jemand gesehen? Hast du wenigstens was gefunden?“
Mit kurzen Worten schilderte Karlo, was passiert war, zog den kleinen Kalender hervor und begann zu blättern. Die Telefonnummern, die er auf die Rückseite von Wurms Notizen verewigt hatte, fanden sich nicht bei den Adressen im Kalender wieder. Überhaupt schien er nichts direkt Verwertbares zu enthalten. Auf der letzten Seite fand Karlo noch eine Nummer, mit der er nichts anfangen konnte. Keine Telefonnummer, vermutete er. Aber was war es dann?
„Wo willst du jetzt hin?“
Gerri riss Karlo aus seinen Überlegungen. Er fühlte sich plötzlich unbehaglich. Ins Clubheim, in seine provisorische Bleibe, konnte er jetzt nicht. Auch bei Jeannette würde man bestimmt nach ihm suchen. Also wohin?
Gerri las seine Gedanken.
„Du weißt mal wieder nicht, wo du hinsollst, stimmt’s?“
Karlo zuckte mit den Schultern.
„Gut, sagen wir: Es gibt da gewisse
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