Karneval der Alligatoren
bestimmt nicht standhalten. Wie steht's mit dem Essen, Alan? Wie
lange halten wir mit der Tiefkühlkost durch?«
Bodkin verzog das Gesicht. »Die
meisten Lammzungen in Aspik sind ja bereits weg, jetzt ist fast nur noch
Ochsenfleisch da. Das reicht endlos, außer ihr wollt das Zeug wirklich essen,
dann wird's in einem halben Jahr zu Ende gehen. Mir wären Leguane lieber.«
»Und wir den Leguanen auch. Na schön,
das sieht ja gar nicht so böse aus. Du bleibst also in der Station, so lange
der Wasserstand nicht steigt, und ich im Ritz. Sonst noch was?«
Beatrice ging zur Bar hinüber. »Ja,
Bob – halt bitte den Mund. Du redest schon genau wie Riggs. Dieses Militärische
steht dir nicht.«
Kerans salutierte zum Spaß und
wanderte dann zu dem Bild von Max Ernst; während er es aufmerksam studierte,
sah Bodkin auf die Dschungellandlandschaft hinunter. Bild und Wirklichkeit
begannen einander immer ähnlicher zu werden und alle beide dem Alptraumbild,
das jeder von ihnen mit sich herumschleppte. Sie sprachen nie über ihre Träume,
über die zwielichtige Sphäre, in der sie sich nachts wie Gestalten aus dem
Delvaux-Bild bewegten.
Beatrice hatte sich mit dem Rücken zu
Kerans auf das Sofa gesetzt. Er ahnte, daß ihre Einigkeit nicht lange dauern
würde. Beatrice hatte recht: Das Militärische lag ihm nicht, er war zu passiv
und introvertiert dafür, zu egozentrisch. Und außerdem kamen sie jetzt in eine
neue Zone, in der die normalen Verpflichtungen und Bindungen nicht mehr
zählten. Kaum hatten sie gemeinsam den Entschluß gefaßt, dazubleiben, bröckelte
die Bindung schon ab; daß jeder für sich weiterleben würde, geschah nicht nur
aus praktischen Erwägungen. So sehr er Beatrice brauchte, so sehr schränkte
ihre Persönlichkeit auch die absolute Freiheit ein, die er für sich
beanspruchte. Nach und nach würden sie jeder für sich einen eigenen Weg durch
den Dschungel der Zeit finden, jeder seinen eigenen Endpunkt wählen müssen.
Vielleicht trafen sie einander gelegentlich, irgendwo bei den Lagunen oder bei
der Teststation, aber wirklich zusammenkommen würden sie nur in ihren Träumen.
7
Irres Brüllen zerriß die morgendliche
Stille über der Lagune; Kerans sprang schlaftrunken aus dem Bett und stolperte
zum Fenster. Als er die Drahttür zum Balkon aufmachte, sah er gerade den
riesigen weißen Rumpf eines Wasserflugzeuges um die Lagune rasen, die Flügel
tauchten ein, daß der Gischt hoch aufsprühte. Die Wellen schlugen gegen die
Hotelmauer, störten ganze Kolonien von Wasserspinnen auf und jagten Fledermäuse
aus ihren Schlupfwinkeln zwischen den verfaulenden Baumstämmen. In der
Pilotenkanzel sah er einen großen, breitschultrigen Mann mit weißem Helm und
Overall an den Hebeln stehen. Er zog elegante Kurven und schaltete die zwei
Turbinen auf Höchstleistung, so daß das Flugboot auf und ab tauchte wie ein mit
riesigen Wellen kämpfendes Motorboot. Die Gischttropfen glitzerten in allen
Regenbogenfarben. Der Pilot schwankte vor und zurück, er stand auf langen,
locker gegrätschten Beinen, wie der Lenker einer wild dahinsausenden
Rennkutsche.
Kerans beobachtete ihn, er stand
hinter den Schlingpflanzen auf seinem Balkon versteckt, sie zurückzuschneiden,
war ihm längst sinnlos erschienen. Bei der zweiten Rundfahrt konnte er das
entschlossene Profil des Mannes sehen, helle Augen, leuchtendweiße Zähne,
freudig-erregter Erobererblick.
Ein Munitionsgürtel blitzte an seiner
Hüfte auf. Am anderen Ende der Lagune angekommen, ließ er eine Serie kurzer
Explosionen ertönen, Signalraketen zerbarsten fächerig über dem Wasser, ihre
verglühenden Bruchteile sprühten in weitem Bogen über das Ufer.
Schließlich ging die wilde Fahrt in
die nächste Lagune – die Flügel droschen das Blattwerk zu beiden Seiten des
engen Kanals in Stücke, der Propellerwirbel ließ die Bäume noch lange hin und
her schwanken; dünner roter Rauch zog langsam nach Norden ab, verschwand in der
Ferne wie das ständig leiser werdende Geräusch des Flugzeugs. Dieser wilde
Einbruch von Lärm und Energie, das Erscheinen dieser merkwürdigen,
weißgekleideten Gestalt beunruhigte Kerans und riß ihn aus seiner Lethargie.
In den sechs Wochen seit Riggs'
Abreise hatte er fast immer allein gelebt, sich mehr und mehr in die stille
Welt des Dschungels ringsum versenkt. Die Temperatur stieg beständig – mittags
zeigte sein Meßgerät über fünfzig Grad an –, und die enervierende Feuchtigkeit
machte es fast unmöglich, das Hotel
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