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Karneval der Alligatoren

Karneval der Alligatoren

Titel: Karneval der Alligatoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James G. Ballard
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haben diese Träume?«
    »Er selbst hat sie nicht, aber
ungefähr die Hälfte der anderen. Und Beatrice Dahl. Ich habe sie seit drei
Monaten. Es ist bei allen praktisch der gleiche Inhalt.« Bodkin sprach leise
und langsam, sanfter als sonst, als wäre Kerans jetzt Mitglied einer
auserwählten Gruppe geworden. »Sie haben sich lange draußen gehalten. Das
danken Sie Ihren unterbewußten Filtern. Wir haben schon überlegt, wann es bei Ihnen
soweit sein würde.« Er lächelte. »Im Geiste natürlich, denn ich habe die Träume
mit niemandem besprochen, außer mit Hardman, und den hat's ja ganz arg
erwischt. Haben Sie bemerkt, daß die Platte nichts als eine verstärkte
Wiedergabe von Hardmans eigenem Puls war – als Nachahmung des Sonnenpulses? Ich
hatte gehofft, damit die Krisis heraufzubeschwören. Ich habe ihn wirklich nicht
absichtlich in den Dschungel geschickt.«
    Kerans nickte und sah durchs Fenster
auf den gewölbten Rumpf des Hauptquartiers. Hoch oben stand Daley regungslos am
Geländer und starrte ins Wasser. Vielleicht hatte er auch den
Gemeinschaftstraum gehabt und sog jetzt das Bild der olivgrünen Wasserfläche in
sich auf, um die brennende Trias-Sonne auszulöschen. Kerans senkte den Kopf, statt
des Schattens unter dem Tisch erblickte er wieder die phosphoreszierenden
Kreise und hörte immer noch das Dröhnen der Sonne. Als er sich von seiner
ersten Angst erholt hatte, merkte er auf einmal, daß die Laute auch etwas
Tröstliches hatten, fast so ermutigend und beruhigend wie sein eigener
Herzschlag.
    Er erinnerte sich wieder an die
kreischenden Leguane auf der Museumstreppe. So wie der Unterschied zwischen
latentem und greifbarem Inhalt des Traums sich verwischt hatte, so auch die
Grenze zwischen real und irreal in der Welt. Phantome glitten unmerklich aus
dem Alptraum in die Wirklichkeit und wieder in den Traum zurück, die irdischen
und inneren Landschaften waren nicht mehr voneinander zu unterscheiden, wie
wohl auch in Hiroshima und Auschwitz und in Gomorrha.
    Ob ihm der Wecker helfen würde? Er
bat Bodkin darum. »Oder – soll ich heute abend lieber ein Phenobarbiton
nehmen?«
    »Tun Sie's nicht«, warnte ihn Bodkin,
»sonst wird es noch ärger. Bewußte Selbstbeherrschung ist das einzige, was den
Damm noch einigermaßen halten kann.« Er knöpfte sich die Jacke über der nackten
Brust zu. »Es war ja kein Traum, Robert, sondern eine uralte Erinnerung –
Millionen Jahre alt.«
    Er wies auf den höhersteigenden Sonnenrand
hinter den urweltlichen Nadelbaumhainen. »Angeborene Auslösemechanismen, die
vor Jahrmillionen in Ihr Zytoplasma gesenkt wurden, sind geweckt worden, die
sich ausdehnende Sonne und die steigende Temperatur treiben Sie in Ihr
Unbewußtes zurück, in die tiefste Schichte davon, in die für uns ganz neue Zone
der neuronischen Psyche. Das ist ein psychobiologisches Phänomen. Wir erinnern uns an diese Sümpfe und Lagunen. Nach ein paar Nächten fürchten Sie sich gar
nicht mehr vor den Träumen, trotz der Schreckensszenen darin. Darum hat Riggs
übrigens auch den Abreisebefehl bekommen.«
    »Der Pelycosaurier ...?« fragte
Kerans.
    Bodkin nickte. »Wir sind die
Reingelegten. Unser Bericht wurde in Camp Byrd nicht extra beachtet, weil es
nicht der erste war ...«
     
    Tritte kamen näher. Riggs öffnete
schwungvoll die Doppeltür – er hatte gefrühstückt, war frisch gewaschen und
offensichtlich bester Laune. Der Anblick der schmutzigen Tassen und seiner müde
herumhockenden Untergebenen störte ihn.
    »Der reinste Schweinestall hier.
Guten Morgen übrigens. Wir haben heute noch viel zu tun, keine Zeit zum
Rumlungern für uns alle. Morgen mittag geht's los. Um zehn Uhr ist großes
Antreten zum Einschiffen. Ich möchte möglichst wenig Zeit verlieren, schmeißen
Sie bitte alles Unnötige über Bord. Wie geht's Ihnen heute, Robert?«
    »Fabelhaft.« Kerans setzte sich
gerade.
    »Freut mich. Sehn aber ein bißchen
abgespannt aus. Falls Sie sich also den Kutter ausleihen wollen zum Ausziehen
...«
    Kerans hörte gedankenlos zu, während
er den großartigen Sonnenaufgang hinter Riggs' Rücken beobachtete. Jetzt war
der Bruch zwischen ihnen endgültig und klar – Riggs hatte den Traum nicht
gehabt, seine unendliche Zauberkraft nicht gespürt. Er gehorchte immer noch den
Gesetzen der Vernunft und Logik, emsig wie eine Biene sauste er in seiner
winzigen, unwichtig gewordenen Welt herum und teilte Befehle und Anordnungen
aus. Nach wenigen Minuten ignorierte er Riggs völlig und horchte nur

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