Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Karneval der Alligatoren

Karneval der Alligatoren

Titel: Karneval der Alligatoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James G. Ballard
Vom Netzwerk:
Wachhund«, sagte er
anerkennend, löste einen Ziegel aus der Mauer und warf ihn mit voller Wucht auf
die runde Schnauze unten; er grinste, als das Tier sich aufbrüllend zurückwarf
und vor Erregung in die umstehenden Pflanzen und herumschwimmenden Bruchstücke
des Katamaran biß.
    Nach einer halben Stunde, während
derer er sich mehrmals gegen Leguane wehren mußte, hatte er endlich die
zweihundert Meter zu Beatrices Haus hinter sich gebracht. Mit schreckensweiten
Augen kam sie ihm beim Lift entgegen.
    »Robert, was ist los?« Sie umfaßte
ihn und schmiegte sich an ihn. »Hast du die Alligatoren gesehen – es müssen
Tausende gewesen sein!«
    »Was heißt gesehen? Einer hätte mich
beinahe vor deiner Haustür aufgefressen!« Er löste sich aus ihrer Umarmung,
rannte zum Fenster und schob die Läden weg. Das Flugzeug kreiste jetzt über der
mittleren Lagune, wurde immer schneller, die Alligatoren rasten hinterdrein,
die hintersten Gruppen lösten sich und steuerten dem Ufer zu. Dreißig bis
vierzig waren in der vorderen Lagune geblieben und schwammen auf und ab, wie
auf Patrouille, gelegentlich verjagten sie mit blitzschneller Bewegung einen
vorwitzigen Leguan.
    »Diese Teufel sind offenbar ihre
Wachhunde«, sagte Kerans. »Wie gezähmte Taranteln.«
    Beatrice fingerte nervös am Kragen
ihrer jadegrünen Seidenbluse. In der Wohnung sah es jetzt nicht mehr so
ordentlich aus, aber sich selbst pflegte sie immer noch hingebungsvoll. Bei
seinen seltenen Besuchen fand Kerans sie stets im Hof oder drinnen vor dem
Spiegel sitzen und stundenlang ihre Nägel lackieren oder sich schminken – ganz
automatisch, wie ein blinder Maler, der ein Porträt retuschiert, an das er sich
kaum noch erinnern kann – aus Angst, daß er es ganz vergessen könnte. Stets war
sie tadellos frisiert, hatte Lippen- und Augen-Make-up exakt appliziert. Ihr
abwesender, starrer Blick ließ sie wie eine wächserne, schimmernde
Schaufensterpuppe wirken. Die Eindringlinge hatten sie heute zum erstenmal aus
ihrer Ruhe aufgescheucht.
    »Was sind das für Leute und Tiere?
Der Mann im Flugboot erschreckt mich. Wenn doch nur Riggs hier wäre.«
    »Der ist schon Tausende Kilometer
weit, vielleicht sogar schon in Camp Byrd. Keine Angst, Bea. Die Leute da sehen
zwar wie Piraten aus, aber uns können sie kaum noch was nehmen.«
     
    Ein großer Dreidecker mit
Schaufelrädern vorn und hinten fuhr langsam zu den drei Leichtern hinüber, die
nahe der alten Ankerstelle von Riggs' Hauptquartier beieinander lagen. Es war
ein Lastschiff, beladen mit Geräten und Kisten, Ballen und leinwandumhüllten
Maschinen – in der Mitte war nur ein kaum fußbreiter Gang frei geblieben.
Offenbar das Lagerschiff der Gruppe, Freibeuter, die Äquatorlagunen und
Archipels abgrasten, in versunkenen Städten plünderten und schwere
Spezialmaschinen wie Generatoren und Schaltapparaturen abmontierten, die von
staatlichen Stellen zurückgelassen worden waren. Eigentlich standen schwere
Strafen auf solche Plündereien, aber im Grunde waren die Behörden nur zu froh,
alle geretteten Güter zu bekommen, und zahlten hohe Preise dafür.
    »Schau doch!« Beatrice packte Kerans
beim Ellenbogen. Dr. Bodkin stand auf dem Dach der Station, seine Haare wehten
im Wind, die Kleidung hing faltig um seinen alten Körper. Er winkte den Leuten
auf dem Lastschiff zu, ein halbnackter Neger schrie durch ein Megaphon zu ihm
hinüber.
    Kerans zuckte mit den Schultern. »Im
Grunde hat er recht. Wir können nur gewinnen, wenn wir uns zeigen. Wenn wir
ihnen helfen, fahren sie bald wieder ab und lassen uns in Frieden.«
    Beatrice zögerte noch, aber Kerans
nahm sie einfach beim Arm. Das Flugboot kam eben auf dem Rückflug über die
Lagune scheinbar schwerelos über den Wellenschaum.
    »Komm schnell, wenn wir rechtzeitig
zur Landestelle kommen, nimmt er uns vielleicht mit.«

8
     
     
    Mißtrauen und ironische Verachtung
mischten sich im Blick des gutaussehenden, diabolisch wirkenden Mannes. Er lag
unter der Markise auf dem Aussichtsdeck des Lastschiffes, der seidig glänzende,
weiße Stoff seines Anzugs strahlte das Gold des Renaissancethrones wider, den
er wohl in Venedig oder Florenz ausgegraben hatte, und umgab seine ohnehin
recht schillernde, undurchsichtige Persönlichkeit mit einem fast magischen
Schein.
    »Ihre Motive scheinen mir sehr
kompliziert zu sein«, sagte er zu Kerans. »Aber vielleicht haben Sie selbst
jede Hoffnung aufgegeben, sie je zu verstehen. Nennen wir's einfach das

Weitere Kostenlose Bücher