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Karneval der Alligatoren

Karneval der Alligatoren

Titel: Karneval der Alligatoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James G. Ballard
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und
kletterte daran fünf Stockwerke weit hinauf bis zu einem Flachdach. Oben legte
er sich hinter einen niedrigen Vorsprung und sah zu Beatrices Wohnung hinauf.
    Auf der anderen Seite der Lagune
kreiste der Flieger lärmend über einem Wasserlauf, der Pilot bremste immer
wieder ab, es sah aus, als zügle ein Reiter sein Pferd in schnellem Lauf. Immer
neue Raketen sprühten hoch, einige in kaum fünfhundert Meter Entfernung.
Plötzlich hörte Kerans ein rauhes, tierisches Gebrüll, zuerst nur leise, dann
immer stärker; irgendwie erinnerte es an das Geschrei der Leguane. Näher und
näher kamen die Laute, vermischt mit Motorengedröhn und dem Rauschen und
Aneinanderschlagen der umgewälzten Bäume. Und da sah er es schon: Entlang des
Wasserlaufs wurden die riesigen Farne und Schachtelhalme umgeworfen, einer nach
dem anderen, ihre Wedel und Zweige schlugen wild aus, während sie wie gefällte
Standarten zu Boden fielen. Der ganze Dschungel wurde zerrissen. Schwärme von
Fledermäusen erhoben sich, flatterten ängstlich über die Lagune, ihr Kreischen
wurde von Turbinenlärm und Raketengeprassel übertönt.
    Ganz plötzlich stieg das Wasser bei
der Einmündung gewaltig an, ein Gewirr von Baumstämmen schien der Flutwelle zu
folgen, riß die Pflanzen mit sich und ergoß sich in die Lagune. Ein Miniaturniagara
schäumenden Wassers stürzte nach draußen, und dahinter kamen mehrere schwarze
Boote, ähnlich Riggs' Kutter; die Farbe blätterte von den riesigen Drachenaugen
und -zähnen, die quer über den Bug jedes der Boote drohten. Dunkelhäutige
Männer in Shorts und Ruderhemden standen darin, ließen sich in wilder Fahrt in
die Lagune treiben und feuerten mitten in dem Höllenwirbel ihre letzten Raketen
in die Luft.
    Halb taub von all dem Lärm blickte
Kerans angestrengt ins Wasser; was wie Baumstämme ausgesehen hatte, erwies sich
als ein Rudel Alligatoren, kräftige, braune Genossen, die mit ihren muskulösen
Schwänzen das Wasser aufpeitschten. Die größten Alligatoren, die er je gesehen
hatte, viele über acht Meter lang; sie stießen aneinander, kämpften sich den
Weg ins Lagunenwasser frei und kreisten dann aufgeregt um das Flugzeug, das
jetzt auf dem Wasser ruhte. Der Weißgekleidete stand an der Luke, die Hände auf
die Hüften gestemmt, und betrachtete begeistert seine Reptilienbrut. Er winkte
der Mannschaft der drei Kutter lässig zu und zeigte mit weitausgreifender Geste
an, daß sie am Rande der Lagune ankern sollten.
    Die Negeroffiziere ließen die Motoren
an und steuerten die Boote zum Ufer. Der Weiße betrachtete kritisch die
umliegenden Gebäude und blickte dann mit beinahe waagerecht gelegtem Kopf nach
oben. Die Alligatoren versammelten sich um ihn wie eine Hundemeute um ihren
Herrn, über ihren Köpfen schwirrten ihre Begleitvögel, Nilregenpfeifer und
Triele. Immer mehr Alligatoren kamen hinzu, schwammen Schulter an Schulter im
Kreis, in Spiralen; gut zweitausend waren es sicher, eine Inkarnation des
Bösen.
    Mit einem lauten Schrei sprang der
Pilot in die Kanzel zurück – die zweitausend Mäuler erhoben sich. Die Schrauben
drehten sich wieder und hoben das Flugzeug über das Wasser. Erbarmungslos
bahnten sich die scharfen Flügel der Propeller ihren Weg durch die
Fleischmasse; der Flug ging zur nächsten Lagune, die Alligatoren folgten im
Wasser. Einige lösten sich von der Masse, durchstöberten paarweise die Gegend
und verjagten Leguane, die neugierig herausgekrochen waren. Andere legten sich
auf Dächer, die gerade noch aus dem Wasser ragten. Ganz hinten in der Lagune
brodelte es, gelegentlich kam der schneeweiße Bauch eines vom Propeller
zermalmten Krokodils nach oben. Kerans kletterte schnell nach unten und
rutschte das Schrägdach zum Katamaran hinunter. Zu spät: Die schweren Brecher
des Flugzeugs hatten das Boot hinausgeschwemmt, mitten in die Tiere hinein. In
wenigen Sekunden war es eingekreist, wurde hochgestemmt, kenterte und endete
zwischen ihren Kiefern, in tausend Stücke zermalmt.
    Einer der letzten Alligatoren
entdeckte Kerans zwischen den Uferpflanzen und steuerte starren Blicks auf ihn
zu. Sein schuppiger Rücken und der Kamm seines Schwanzes zuckten, während er durchs
Wasser schoß. Kerans rettete sich schnell nach oben und erreichte gerade die
Leiter, als das Tier auf seinen kurzen, krummen Beinen ins Flache strampelte
und nach ihm schnappen wollte.
    Keuchend lehnte er sich vor und sah
in die kalten, starren Augen hinunter, die ihn leidenschaftslos ansahen.
    »Ein guter

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