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Karneval der Alligatoren

Karneval der Alligatoren

Titel: Karneval der Alligatoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James G. Ballard
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totale
Strandsyndrom.«
    Er schnalzte mit den Fingern, der
Steward im Schatten hinter ihm reichte ihm das Tablett, Strangman wählte eine
Olive aus den Mixed Pickles und steckte sie genießerisch in den Mund. Beatrice,
Kerans und Bodkin saßen im Halbkreis auf niedrigen Sofas, der rotierende
Ventilator über ihren Köpfen kühlte sie nur zeitweise; wenn er sich seitwärts
drehte, hatten sie das Gefühl, geröstet zu werden. In einer halben Stunde war
Mittag, und der Widerschein der Sonnenstrahlen war so stark, daß man über der
nahezu kochenden Lagune den hohen Wohnblock auf der anderen Uferseite nicht
mehr erkennen konnte. Der Dschungel lag reglos in der gewaltigen Hitze, die Alligatoren
hielten sich im Schatten auf, wo immer sie welchen finden konnten.
    Einige der Männer Strangmans
beschäftigten sich trotz der unerträglichen Hitze auf einem der Leichter; sie
luden unter der Anleitung eines riesigen buckligen Negers in grünen Baumwollshorts
eine umfangreiche Tauchanlage aus. Der Neger trug über einem Auge einen grünen
Schutz, von Zeit zu Zeit nahm er ihn ab und schimpfte mit seinen Leuten – sein
Grunzen und Fluchen drang bis zu ihnen herüber.
    »Und wann wollen Sie endgültig
aufbrechen, Doktor Kerans?« drängte Strangman, den Kerans' Antworten offenbar
nicht befriedigt hatten.
    Kerans zögerte – sollte er ein Datum
erfinden? Als er zuvor nach langem Warten – Strangman zog sich über eine Stunde
lang um – ihrer aller Willkommen überbracht und ihr Hiersein zu erklären
versucht hatte, schien Strangman die Erklärungen überhaupt nicht ernst zu
nehmen, er schwankte zwischen Lachen über ihre Naivität und tiefstem Mißtrauen,
ob sie ihn nicht anlogen. Kerans beobachtete ihn genau, er war auf der Hut,
auch nur die geringste falsche Bewegung oder Bemerkung zu machen. Wer immer
Strangman in Wahrheit sein mochte, ein echter Freibeuter war er nicht. Von
seinem Schiff, ihm selbst und seiner Mannschaft ging etwas seltsam Bedrohliches
aus. Vor allem er selbst mit seinem weißen, grinsenden Gesicht, mit den
grausamen, beim Lächeln stark gefurchten Zügen beunruhigte Kerans zutiefst.
    »Wir haben noch nicht genau darüber
nachgedacht«, sagte Kerans. »Wir hoffen wohl alle, für immer hierbleiben zu
können. Wir haben noch einige wenige Vorräte.«
    »Aber lieber Mann«, sagte Strangman,
»die Temperatur wird doch bald auf beinahe hundert Grad ansteigen. Der ganze
Planet nähert sich dem Mesozoikum.«
    »Genau«, unterbrach ihn Dr. Bodkin,
der sich für einen Augenblick von seinen Betrachtungen abwandte, »und ebenso
wie der Planet ›zurückkehrt‹, kehren auch wir zurück, wir befinden uns im
Übergangsstadium, wir assimilieren uns an unsere eigene biologische
Vergangenheit. Darum sind wir hiergeblieben. Es gibt keinen anderen Beweggrund
für uns.«
    »Natürlich nicht, Dr. Bodkin. Ich bin
von Ihrer Aufrichtigkeit völlig überzeugt.« Immer wieder veränderten sich
Strangmans Züge, wechselten von Nervosität zu Freundlichkeit, von Langeweile zu
Abwesenheit. »Haben Sie als Kind in London gelebt? Da haben Sie doch sicher
wehmütige Erinnerungen an die großen Paläste und Museen.«
    Kerans war überrascht, wie schnell
sich Strangman Bodkins Jargon zu eigen gemacht hatte, und entdeckte, daß
Strangman nicht nur Bodkin genau betrachtete, sondern auch ihn selbst und
Beatrice.
    Bodkin wehrte müde ab. »Nein, ich
erinnere mich leider an gar nichts. Die unmittelbare Vergangenheit interessiert
mich überhaupt nicht.«
    »Ach, wie schade«, sagte Strangman
obenhin. »Das Dumme bei Ihnen allen ist, daß Sie schon seit dreißig Millionen
Jahren hier sind und Ihre Perspektiven nicht stimmen. Sie versäumen so vieles
Schöne im schnell vorübergehenden Leben. Mich fasziniert die unmittelbare
Vergangenheit – die Schätze des Trias nehmen sich doch recht schäbig aus im
Vergleich zu denen der letzten Jahre des zweiten Jahrtausends.«
    Er beugte sich vor und lächelte
Beatrice zu. Sie saß lauernd da, wie eine Maus, die eine besonders schöne Katze
beobachtet – ihre Hände lagen auf den nackten Knien. »Und Sie, Fräulein Dahl?
Sie sehen ein bißchen melancholisch aus. Ein bißchen zeitkrank?
Chronoklasmische Kurve?« Er kicherte über seinen eigenen Witz; Beatrice
antwortete ruhig: »Wir sind meist ziemlich müde. Übrigens, Ihre Alligatoren mag
ich gar nicht.«
    »Die tun Ihnen nichts.« Strangman
lehnte sich wieder zurück und betrachtete alle drei. »Wirklich komisch.« Er gab
dem Steward einen kurzen Befehl,

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