Karneval der Alligatoren
Mitternachtsfrühstück –,
denn Strangman und seine Alligatoren und einäugigen Mulatten erschreckten sie
immer noch, und so unterblieben diese kleinen Gesellschaften.
Der eigentliche Grund für das
›Tauchfest‹ war allerdings mehr praktischer Natur. Strangman hatte bemerkt, daß
Bodkin immer in den Gewässern über dem ehemaligen Universitätsgebiet herumfuhr,
und ließ ihn oft – zu seinem Vergnügen von Bodkin unbemerkt – von einem seiner
Boote durch die engen Kanäle verfolgen – der Admiral oder Großer Cäsar saßen
drin wohlverborgen hinter Farnblättern, wie in Karnevalskleidung –, nahm jedoch
an, Bodkin suche nicht seine Vergangenheit, sondern einen vergrabenen Schatz.
Sein Verdacht konzentrierte sich schließlich auf das versunkene Planetarium,
das leicht erreichbar schien, und postierte dort eine ständige Wache; als
Bodkin jedoch niemals nachts mit Flossen und Aqualunge aufkreuzte, verlor
Strangman die Geduld und beschloß, ihm zuvorzukommen.
»Morgen früh holen wir Sie um sieben
ab«, sagte er zu Kerans, »Champagnercocktails, kaltes Büfett – wir müssen
einfach rauskriegen, was der Alte da unten verborgen hat.«
»Kann ich Ihnen genau sagen,
Strangman. Verlorene Erinnerungen. Das ist ihm mehr als alle Schätze der Welt
wert.«
Strangman lachte nur skeptisch,
bestieg sein Flugboot und raste in solchem Tempo davon, daß Kerans sich
verzweifelt an dem auf und ab schlingernden Landesteg festhalten mußte.
Pünktlich um sieben hatte ihn der
Admiral abgeholt. Sie fuhren dann noch bei Beatrice und Bodkin vorbei und
landeten schließlich gemeinsam auf dem Depotschiff, wo Strangman alles für die
Taucherei vorbereiten ließ. Ein Leichter wurde mit dem Gerät beladen –
Aqualunge und Taucheranzug, Pumpen und Telefon. Ein Tauchkäfig hing vom
Bootskran, Strangman versicherte ihnen jedoch, daß der kleine See über dem
Planetarium frei von Alligatoren und Leguanen sei und man unter Wasser nicht im
Käfig zu bleiben brauche.
Kerans hatte Bedenken deswegen, aber
diesmal hatte Strangman wirklich recht. Der See war ganz gereinigt worden, man
hatte schwere Stahlgitter bei den versunkenen Eingängen heruntergelassen, und
ringsum saßen bewaffnete Wachen mit Harpunen und Gewehren bereit. Nachdem die
Boote in das Geviert eingefahren und an einem überdachten Balkon vertäut waren,
warf man auf der anderen Seite Sprenggranaten ins Wasser und jagte damit die letzten
Aale und Krabben nach draußen.
Als der Schaum sich verzogen hatte,
sahen sie vom Geländer aus deutlich die hohe, breite Kuppel des Planetariums,
dicht mit Braunalgen besetzt. Bodkins Erinnerung an den Muschelpalast aus dem
Kindermärchen war wirklich begründet. Das bewegliche Metallgitter über dem
runden Oberlicht war leider verrostet, die Taucher hatten es nicht von der
Stelle gebracht. Den Haupteingang konnte man von oben nicht erkennen, eine
Tauchexpedition hatte jedoch gezeigt, daß man von dort aus ohne Schwierigkeiten
in das Gebäude konnte.
Die Sonne stieg über den Wasserrand,
Kerans sah in die unendliche, durchscheinende Tiefe, in das warme
Urweltgallert, das er so oft in seinen Träumen durchschwamm. Plötzlich fiel ihm
ein, daß er seit gut zehn Jahren nie ins Meer getaucht war, obwohl ihn das
nasse Element stets von allen Seiten umgeben hatte. Er rekapitulierte rasch im
Geist die langsamen Schwimmbewegungen, mit denen er sich im Traum durchs Wasser
bewegte.
Einen Meter unter der Wasseroberfläche
schwamm eine kleine Albinopython vorbei, suchte nach einem Weg aus dem
Gitterwerk. Kerans beobachtete, wie sie ihren muskulösen Kopf hin und her
wandte und vor- und zurückschnellen ließ, um den Harpunen auszuweichen, und
hatte plötzlich Bedenken, sich dem tiefen Wasser anzuvertrauen. Hinter einem
Gitterstück auf der gegenüberliegenden Seite kämpfte ein Krokodil mit einer
Gruppe Matrosen. Der Große Cäsar umklammerte mit seinen gewaltigen Beinen den
schmalen Begrenzungsbalken und stieß wütend nach dem Tier, das nach Speeren und
Bootshaken schnappte. Es war fast zehn Meter lang und hatte eine Brustbreite
von gut zwei Metern. Offensichtlich eine uralte Bestie. Der schneeweiße Bauch
erinnerte Kerans an die ungewöhnlich große Zahl von Albinoschlangen und -echsen,
die er seit Strangmans Ankunft gesichtet hatte – sie kamen von überall her aus
dem Dschungel, als zöge seine Anwesenheit sie an. Sogar einige Albino-Leguane
hatte er gesehen. Einer hatte gestern morgen auf seiner Landestelle gesessen,
er sah aus wie eine
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