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Karneval der Alligatoren

Karneval der Alligatoren

Titel: Karneval der Alligatoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James G. Ballard
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dann blieb er in sich gekehrt sitzen. Kerans
fiel erst jetzt auf, daß er im Gegensatz zu ihnen allen – Neger, Mulatten oder
Weiße, die unterschiedslos schwarzbraun gebrannt waren – geisterhaft weiß
aussah, ohne jedes Pigment, was er durch seine weiße Kleidung noch besonders
auffällig machte.
    Der halbnackte Neger mit der spitzen
Kappe kam heran – Schweiß rann über seine mächtigen Muskeln. Er war fast zwei Meter
groß, wirkte aber durch seine Schulterbreite eher gedrungen. Strangman
gegenüber war er ausgesprochen servil und aufmerksam; Kerans wunderte sich,
wodurch Strangman solche Gewalt über seine Leute hatte, warum sie seinen
barschen, harten Ton akzeptierten.
    Strangman stellte den Neger kurz vor.
»Der Admiral, mein Obereinpeitscher. Wenn ich mal nicht da bin, wenden Sie sich
nur an ihn.« Er stand auf und stieg vom Podest herunter. »Ehe Sie mich
verlassen, darf ich Ihnen noch meine Schätze zeigen?« Er streckte Beatrice
galant seinen Arm hin, sie nahm ihn ängstlich; seine Augen glitzerten und er
betrachtete sie wild und gierig.
     
    Das Schiff war offenbar einmal eine
schwimmende Spiel- oder Lasterhölle gewesen, außerhalb der 5-Meilen-Zone vor
Messina oder Beirut verankert oder im Schutz eines Delta-Arms unter den
gnädigeren Himmeln südlich des Äquators. Als sie hinuntergingen, ließen ein
paar Leute von der Mannschaft gerade das reichverzierte Fallreep zum Ufer. Die
ehemals goldgestrichenen Geländer, von denen sich die Farbe löste, waren mit
einer weißen Holzmarkise überdacht, die man mit goldenen Quasten und
Draperie-Imitation bemalt hatte; das Ding quietschte und knarrte wie eine alte
Zahnradbahn. Im Inneren war das Schiff ebenso barockähnlich verziert. Die dunkle,
geschlossene Bar sah aus wie der Heckaufbau eines Galaschiffs, nackte
vergoldete Karyatiden trugen ihre Überdachung. Halbsäulen aus Marmorimitationen
bildeten kleine Loggias, die zu separierten Alkoven und Speisezimmern führten,
die doppelte Mitteltreppe war wie eine schlechte Filmkulisse von Versailles;
staubige Putti schwirrten rund um schimmlig-schmierige Messingkandelaber.
    Die Roulettetische waren
verschwunden, der verkratzte Parkettfußboden mit Unmengen Kisten und Ballen
bedeckt bis hoch gegen die drahtvergitterten Fenster, so daß nur schwaches
Licht von draußen hereindrang. Alles war wohlverpackt und versiegelt, nur auf
einem alten Mahagonitisch aus dem ehemaligen Kartenraum sah Kerans eine
Sammlung von verstümmelten Bronze- und Marmorfiguren und Torsos, Fragmente
alter Statuen.
    Strangman blieb am Fuße der Treppe
stehen und zog ein Stück Farbe von der Wandmalerei. »Zerfällt alles. Kommt dem
Ritz natürlich nicht nahe. Ich beneide Sie sehr, Herr Doktor, Sie haben das
Richtige gewählt.«
    Kerans zuckte mit den Schultern. »Die
Miete kostet jetzt dort nicht mehr viel.« Strangman sperrte eine Tür auf und
führte sie in den Hauptlagerraum, eine erstickend luftlose Höhle voller
riesiger Holzkisten, der Boden mit Sägemehl bestreut. Hier gab es keine
Kühlung. Der Admiral und ein zweiter Seemann folgten ihnen dicht auf den Füßen
und besprühten sie immer wieder mit eiskalter Luft aus einer Leitung an der
Wand. Strangman schnalzte mit den Fingern, der Admiral zog rasch die großen
Leinwandtücher von den Kisten weg. In dem schwachen Licht sah Kerans am Ende
des Raumes die glitzernden Umrisse eines riesigen, reich verzierten
Altarstückes, mit feingearbeiter Umrandung und hohen Delphinkandelabern,
darüber ein klassizistisches Proszenium, das ein kleines Haus überdacht hätte.
Daneben viele Statuen, meist Spätrenaissance, an denen schwere Goldrahmen
lehnten. Weiter drüben standen kleinere Triptychen und Altarstücke, eine
vollständige Kanzel in Goldpaneelen, drei große Pferdestatuen – zwischen den
Mähnen steckten noch Seetangsträhnen –, riesige Kathedralentore mit Gold- und
Silberprägearbeit, und ein großer, mehrstufiger Marmorbrunnen. Die metallenen
Regale ringsum waren voller kleiner Kunstschätze: Votivurnen, Trinkgefäße,
Schilde, Waffen, prunkvolle Tintenfässer und dergleichen mehr.
    Strangman führte Beatrice immer noch
am Arm, mit der freien Hand wies er nach vorne, und Kerans hörte ihn sagen:
»Sixtinische Kapelle« und »Mediceergrab«. Bodkin murmelte: »Vom ästhetischen
Standpunkt aus gesehen ist das meiste hier Mist, das nur wegen der
Goldverzierungen mitgenommen wurde. Aber das ist nicht alles. Worauf ist dieser
Mann eigentlich aus?«
    Kerans nickte und betrachtete

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