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Karneval der Alligatoren

Karneval der Alligatoren

Titel: Karneval der Alligatoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James G. Ballard
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den
Weißgekleideten vor sich, neben ihm Beatrice mit ihren nackten Beinen.
Plötzlich fiel ihm das Bild von Delvaux ein, die Skelette im Frack. Strangmans
kalkweißes Gesicht sah aus wie ein Totenschädel, er war auch irgendwie
gespenstisch in seinen Bewegungen. Ohne besonderen Grund empfand er plötzlich abgründigen
Widerwillen gegen den Mann, eine mehr allgemeine als persönliche
Feindseligkeit.
    »Nun, Kerans, was halten Sie davon?«
sagte Strangman, während er zurückging und dem Admiral einen Befehl zubellte,
die Dinge wieder zudecken zu lassen. »Große Sache, was?«
    Kerans wandte mit Mühe seinen Blick
von Strangmans Gesicht und sah die Beutestücke an.
    »Sieht wie lauter Knochen aus«, sagte
er gleichgültig.
    Strangman war überrascht. »Knochen?
Wovon reden Sie denn? Kerans, Sie sind ja verrückt. Knochen! Du meine Güte!«
    Er stöhnte verzweifelt, während der
Admiral die letzten Worte wiederholte und wie ein unbekanntes Ding im Mund
drehte, immer wieder vor sich hin sagte, wobei sich sein breites Gesicht zu
unbändigem Lachen verzog. Der andere Matrose folgte seinem Beispiel, sie
begannen die Worte zu singen, hüpften und tanzten wie Schlangenbeschwörer:
»Knochen, nichts als Knochen, Knochen, Knochen ...!«
    Strangman beobachtete sie zornig,
seine Gesichtsmuskeln verkrampften und entspannten sich in unaufhörlichem
Rhythmus. Kerans ärgerte sich und wollte alleine nach oben gehen. Strangman
rannte ihm nach, drückte ihm die Handfläche an den Rücken und schob ihn nach
oben.
    Fünf Minuten später fuhren sie in
einem der Boote ab; der Admiral und ein paar andere Matrosen hüpften und sangen
immer noch an der Reling auf und ab. Strangman hatte seine gute Laune
wiedergefunden, er stand kühl lächelnd in einiger Entfernung von den Leuten und
winkte seinen Gästen nach.

9
     
     
    Während der nächsten zwei Wochen
verdunkelte sich der Himmel immer mehr, Regenwolken zogen von Süden herauf.
Kerans sah Strangman häufig. Meist raste er in seinem Flugboot über die
Lagunen, im weißen Overall und Helm, und überwachte die Arbeit der
Räumungstrupps. In jeder Lagune war eine Gruppe von sechs Männern beschäftigt,
Taucher durchsuchten methodisch Haus für Haus. Manchmal übertönte scharfes
Knallen das eintönige Geräusch der Pumpen und Tauchgeräte – ein Alligator war
den Tauchern zu nahe gekommen und wurde mit Schüssen verjagt.
    Kerans saß in seinem dunklen Hotelzimmer
weit ab von der Lagune und ließ Strangman tauchen, wo er tauchen wollte –
Hauptsache, er fuhr bald wieder ab. Seine Träume gingen mehr und mehr auch ins
Wachsein über, er zog sich immer mehr in sich selbst zurück, gab sein bewußtes
Dasein auf. Die einzige Zeitebene, auf der Strangman und seine Leute zu leben
schienen, war so durchscheinend, daß sie ihm irrealer vorkam als sein eigenes
vielschichtiges Zeitgefühl. Ab und zu suchte ihn Strangman auf, dann begab er
sich für kurze Zeit auf seine Ebene, aber das wahre Zentrum seines Bewußtseins
war nicht dabei.
    Merkwürdigerweise empfand Strangman
nach dem anfänglichen Ärger so etwas wie Sympathie für Kerans. Seine ruhige,
konziliante Art war eine gute Zielscheibe für Strangmans Spott. Manchmal ahmte
er ihn nach, nahm ihn beim Arm und sagte ehrfürchtig: »Wissen Sie, Kerans, daß
wir vor zweihundert Millionen Jahren das Meer verlassen mußten, hat wohl ein
tiefes Trauma hinterlassen, von dem wir uns nie erholen konnten ...«
    Einmal schickte er zwei seiner Leute
über die Lagune und ließ sie auf eines der größten Gebäude am
gegenüberliegenden Ufer in zehn Meter hohen Lettern ZEITZONE schreiben. Kerans
nahm es humorvoll auf; als die Taucher immer noch nichts fanden, wurde
Strangmans Spott schärfer. Kerans ignorierte ihn einfach, sank weiter in die
Vergangenheit zurück und wartete mit Geduld auf den großen Regen.
    Nach dem ›Tauchfest‹, das Strangman
eines Tages arrangierte, erkannte Kerans zum erstenmal, warum er diesen Mann
fürchtete. Dem Anschein nach hatte Strangman die Sache arrangiert, um die drei
Abtrünnigen zusammenzubringen. Er hatte auf seine lakonische, scheinbar
gleichgültige Art begonnen, Beatrice den Hof zu machen, und sich absichtlich
viel um Kerans gekümmert, um durch ihn jederzeit Zutritt zu ihr zu haben. Als
er merkte, daß die drei einander kaum aufsuchten, bemühte er sich um einen
anderen Weg, er lockte Kerans mit gutem Essen und Trinken, aber Beatrice schlug
diese Einladungen zum Essen immer aus – ob Lunch oder

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