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Karneval der Toten

Titel: Karneval der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Grimes
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Habe ich noch nie gesehen. Ein bisschen viel Weiß, finden Sie nicht?«
    »Meinen eigenen Garten in Northants habe ich ganz ähnlich angelegt. Dort habe ich sogar einen ganzen Hang in Silber und Gold gestaltet. Für das Gold habe ich goldgelbe Ringelblumen benutzt (das war ja wohl etwas sehr offenkundig, nicht?), aber nur so als Band durch die Mitte.«
    Warburtons sonst so sonnige Miene verfinsterte sich. »Aber sind denn die Ringelblumen nicht zu groß für diesen schmuckstückhaften Effekt?«
    Verflixt! Was war er doch für ein Dummkopf. Er sollte sich lieber gleich aufs Schuhepflanzen verlegen. »Schon, es waren aber diese speziellen Zwergringelblumen.«
    »Zwerg?«
    »Eine besondere Kreuzung, nicht? Habe ich zufällig entdeckt. Ein Bekannter, der sich viel mit Kreuzungen befasst – Sie glauben gar nicht, was der für ein Gewächshaus hat! Na, jedenfalls nehme ich nicht an, dass der die Zwergsorte schon auf den Markt geworfen hat. Ich schicke Ihnen ein Muster, ja?«
    »Ja, gerne. Sie sind ja wirklich auf dem neuesten Stand, Mr. Pflanz – äh, Mr. Plant! Verzeihen Sie den Witz!« Warburton lachte.
    Melrose lachte ebenfalls, um den Kerl bei Laune zu halten. »Man bemüht sich ja, auf dem Laufenden zu bleiben.«
    Warburton nuckelte gedankenverloren an seiner Pfeife.
    Worüber um alles in der Welt, fragte sich Melrose, mochte der wohl nachdenken? Über die Sache mit den Schneeglöckchen? Über den Mord? Für gewöhnlich hatte Warburton seine Zeichnungen bei sich. Doch nun, ohne Zeichnungen, konnte er vermutlich an rein gar nichts denken, konnte keine Theorie fortentwickeln, zu keiner Schlussfolgerung gelangen. Mit der Bemerkung über Schneeglöckchen – »ein bisschen viel Weiß, finden Sie nicht?« – war sein Gesprächsstoff auch schon so ziemlich erschöpft.
    Melrose fragte sich, ob jener Lord Warburton bei Henry James wohl ebenso seicht gewesen war. Nein, die Figur bei James hatte sicher einen gewissen Tiefgang gehabt. Es war Isabel einfach so vorgekommen, als fehlte Lord Warburton jene Freiheit, nach der sie sich so sehnte und die sie in Osmond gefunden zu haben glaubte. Ha, da täuschte sie sich aber! Gütiger Himmel, fing er nun etwa schon an, fiktive Gestalten zurechtzuweisen? Jedenfalls war dieser Warburton bestimmt ebenso seicht und flach wie die Messingschale in dem Springbrunnen hier in der Nähe, die von den Knaben mit den Eimern ständig wieder aufgefüllt werden musste. Wenn Wasser sprudelte, wäre die Skulptur sicher noch entzückender, stellte Melrose sich vor. Er könnte einen kühlen Wasserstrahl gut vertragen.
    Wieso um alles in der Welt hatte Declan Scott eigentlich Warburton engagiert? Weil sein Entwurf eben verdammt gut war wahrscheinlich.
    Millie sah die Sache dagegen völlig anders. Für sie stand der Mann selbst im Mittelpunkt. Über sie hatte Melrose sich auch schon so seine Gedanken gemacht: Millie neigte, anders als ihr Vater, zum Grübeln und hielt diese grüblerische Art – ebenso wie Warburtons Einsilbigkeit – fälschlicherweise für glühende Leidenschaft: ein Heathcliff für ihre Cathy. Beim Anblick seiner kohlrabenschwarzen Augen musste Melrose allerdings eher an einen Schneemann als an Heathcliff denken und hätte sich überhaupt nicht gewundert, wenn Warburton plötzlich zu seinen Füßen dahingeschmolzen wäre.
    Warburton stand immer noch in Betrachtung von Melrose’ Werk versunken. Schließlich deutete er mit seinem Pfeifenstiel auf die winzigen Blumengesichter. »Sollte das lilafarbene da nicht in die Reihe dort gesetzt werden? Da scheint noch eins zu fehlen.« Er meinte das einzelne Pflänzchen, das Lulu herausgenommen und neben dem Beet liegen gelassen hatte.
    Ach, ist doch schnurzpiepegal, Mann (wollte er schreien), wo es anderswo Krieg gibt und Hungersnöte und die Welt in Trümmern liegt? Melrose, der sich sonst eher selten Gedanken um die in Trümmern liegende Welt machte, war nun gezwungen, seine eigene Oberflächlichkeit zu überdenken.
    Du willst was Triviales, Bursche, da hast du’s! Und der Herrgott machte sich daran, mit einem Schneeglöckchen auf ihn einzudreschen.
    Höchst verlegen schürzte Melrose die Lippen und betrachtete angelegentlich den schweren, stählern wirkenden Himmel. Du musst anderen gegenüber nachsichtiger sein, sagte eine aus dem Chor seiner ewig tadelnden Stimmen. Wirklich? Wieso?, sagte die Stimme, die im Ohrensessel saß und einen Keks mampfte. Wirklich, wieso ?, darin erschöpfte sich so ziemlich deren gesamtes Repertoire, und die

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