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Karneval der Toten

Titel: Karneval der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Grimes
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alter Hausgeist von Angel Gate. Jedenfalls etwas, das seine Gegenwart nicht ankündigt. Er hob den Kopf und sah hin. Weder noch. Es war Roy. Roy, der auf einer weißen Bank saß, dem Gegenstück zu der von Jury, und nun mit dem Schwanz bumm, bumm heftig auf die Bank klopfte. Er bellte nicht. Er hatte nämlich etwas im Maul.
    Jury überlegte: Okay, Roy, bring es her – den Schlüssel zur Geldkassette, den belastenden Brief, das monogrammverzierte Taschentuch, das Wachssiegel, die Brille, den Lippenstift, den Ring, das aus einem Kleid gerissene Fetzchen Chiffonstoff, das ich sofort wiedererkennen werde.
    Er wusste, dass es nichts davon war, was es hätte sein sollen. Hunde schleppten doch ständig irgendwelche Sachen aus dem Wald herbei, zogen sie aus einem Abflussrohr hervor. Selbst aus dieser Entfernung konnte er erkennen, dass Roy eine blaue Blume hatte, was wohl kaum überraschend war, wenn man die riesige Palette von blauen Blumen hier bedachte, ganze Rabatten vor der Hecke, ganze Beete neben dem Teich. Er konnte nicht mit Sicherheit sagen, um was es sich handelte, denn er war selbst ziemlich blumenblind. Kornblumen, Rispengras, Rittersporn?
    Komm schon, du dummes Hundevieh. Gib uns einen Tipp, mach dich nützlich. Wenigstens ein silbernes Feuerzeug oder einen Spazierstock mit einem Löwenkopf als Knauf. Jury stutzte. Kornblumen. Die waren nicht immer blau, aber wenn sie blau waren, dann waren sie sehr, sehr -
    Das hatte er doch gesagt! Cody! Als sie im Little Chef gesessen hatten. »Sie hatte die blausten Augen, die ich je gesehen habe. So blau wie ihr Kleid.«
    Roy hockte immer noch dort drüben auf der Bank, die Blume im Maul, den Kopf schief gelegt. Und sehr mit sich zufrieden. Jury pfiff. Roy sprang von der Bank herunter, kam großspurig anstolziert.
    Sehr mit sich zufrieden. Mir kann keiner!
     
    Der Hund folgte Jury zum Wohnwagen der Polizei, mühsam stapften beide durchs nasse Gras, beide in dem Gefühl, endlich etwas mit Fleisch auf den Knochen gefunden zu haben.
    »Cody.«
    Überrascht hob Cody den Blick von seinem Mobiltelefon. »Sir?«
    »Legen Sie auf.«
    Cody tat es, hielt den Apparat aber immer noch fest umklammert.
    Jury ließ sich auf demselben Stuhl nieder, auf dem er zuvor gesessen hatte. Er wusste, dass er sich auch irren konnte, es wäre leicht zu überprüfen, doch er wusste auch, dass er höchstwahrscheinlich Recht hatte. Er sah Cody fest an. »Sie sagten, ihre Augen hätten den gleichen Farbton gehabt wie das Kleid, das sie anhatte: kornblumenblau.«
    Cody nickte. Ein erschrockener Ausdruck schob sich wie ein Schatten über sein Gesicht.
    »Ich frage mich, woher Sie das wussten.«
    Der Ausdruck veränderte sich. Cody wirkte erleichtert und lachte abgehackt. »Das stand doch in der Zeitung! Es musste doch eine Beschreibung geben, wie hätte man sie sonst erkennen können, wenn man sie sah?« In seinem Lächeln lag eine Spur Triumph.
    Jury schüttelte den Kopf. »Blaue Augen, blaues Kleid, ja. Aber dann müssen Sie sie gesehen haben.«
    »Ich wusste, welche Farbe ihre Augen hatten, und das Kleid habe ich wohl gesehen. Sonst hätte ich es doch nicht gesagt.«
    »Genau darum geht es. Sie konnten das Kleid gar nicht gesehen haben, weil es nämlich neu war. Sie hätte es vorher noch nie getragen, sagte Declan Scott. Also haben Sie es an dem Tag damals gesehen, Cody, an dem Tag, an dem sie verschwand.«
    Er sprang vom Stuhl hoch. »Sie wollen doch wohl nicht behaupten, ich hätte etwas damit zu tun!«
    » Noch nicht , das sage ich noch nicht. Setzen Sie sich. Erzählen Sie mir, wie es dazu kam, dass Sie sie gesehen haben.«
    Cody lehnte sich zurück und schwieg.
    »Sie waren Mary und Flora gefolgt, stimmt’s? Und vermutlich nicht zum ersten Mal -«
    Mit einem etwas kläglichen Lachen sagte Cody: »Um sie zu belästigen, um ihnen auf die Nerven zu gehen, ist es das? Wollen Sie das damit sagen?«
    »Nein, das nicht. Eher wie ein Beschützer. Sie machten sich Sorgen, der kleinen Flora könnte etwas zustoßen. Und die schreckliche Ironie dabei ist, dass es dann auch so kam, denn Sie müssen einen kurzen Augenblick weggeschaut haben und sahen die Person nicht, die sie mitgenommen hat. Denn diese Information hätten Sie doch nie und nimmer unterschlagen. Auf einmal war Flora nicht mehr da. So wie damals Ihre kleine Schwester. Es muss Ihnen so vorgekommen sein, als erlebten Sie alles noch einmal. Es muss die Hölle gewesen sein. Sie müssen das Gefühl gehabt haben – und haben es noch -, wieder

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