Karneval der Toten
das bereits bestätigt. Und Sie wüssten inzwischen, wer sie ist.« Schweigen. »Es gibt also eine Verbindung zwischen dem alten Fall und diesem.«
»Muss so sein. Das Opfer hätte doch etwas damit zu tun haben können. Es ist jetzt drei Jahre her, dass die Kleine verschwunden ist. Sie würden vermutlich sagen, Declan Scott soll es gut sein lassen.«
»Wieso zum Teufel sollte ich das sagen? So etwas lässt einen nicht los. Es wird mit der Zeit vielleicht sogar noch schlimmer.«
Keine Antwort.
Macalvie widerstrebte es tatsächlich, den Mann vernehmen zu müssen. Jury überlegte.
Macalvie sagte: »Das ist der Grund, verstehen Sie?«
»Was denn?«
»Was Sie gerade gesagt haben, dass es mit der Zeit schlimmer wird. Die meisten Leute leben nach der Devise ›die Zeit heilt alle Wunden‹. Sie würden sich bestimmt gut mit ihm verstehen.«
Jury schüttelte lächelnd den Kopf. »Wo wurde die Tochter entführt? Aus dem Haus? Vom Grundstück? Von wo?«
»Aus den Verlorenen Gärten von Heligan.«
Jury klemmte den Hörer ans andere Ohr. »Die Verlorenen Gärten von Heligan? Kommt mir bekannt vor. Ich war zwar nie dort, aber war das nicht dieses große Restaurierungsvorhaben in Cornwall? Dort und – wie heißt das andere?«
»Das Eden-Projekt.«
»Heligan ist doch so ein Restaurierungsobjekt, nicht wahr? Die frühere Parkanlage verwucherte zusehends, fiel sozusagen der Verwahrlosung anheim.«
»Richtig«, sagte Macalvie.
»Nun, ich habe noch nie erlebt, dass Melancholie einen Fall gelöst hätte. Meine jedenfalls weiß Gott nicht.«
»Woher wollen Sie das wissen? Bei diesem Fall bin ich mir nicht so sicher. Declan Scott – ach, Sie werden schon sehen, was ich meine. Es ist die Vergangenheit. Er erinnert sich nicht nur an sie, er lebt in ihr.«
»Tun wir das denn nicht alle?«
5
Hoch gewachsen, dünn, schwarz gekleidet und so glatt und geschmeidig wie ein Seehund, war Baumanns Sekretärin gerade am Telefon beschäftigt, als Jury ins Büro trat. Während er wartete, dass sie auflegte, sah er sich in dem kostspielig ausgestatteten Raum um. Ebenso glatt und eckig wie sie waren die Möbel, ganz in schwarzem Leder und Glas. An der Wand zu seiner Linken waren mehrere Glasregale angebracht, auf denen auf schwarzem Samt reihenweise Münzen ausgestellt lagen. Jury fiel wieder ein, was Johnny Blakeley ihm gesagt hatte.
Als sie den (gleichfalls glatten) Hörer endlich wieder aufgelegt hatte, stellte er sich vor und sagte, er würde gern Mr. Baumann sprechen.
»Vor zehn Uhr empfängt Mr. Baumann aber keinen Besuch.« Dabei schaute sie ostentativ auf ihre Armbanduhr.
»Das ist schade, ich muss nämlich um halb elf auf den Zug.«
Mit bedächtigem Stirnrunzeln unterzog sie daraufhin ihren Terminkalender einer ausführlichen Begutachtung. Schließlich hob sie den Blick. »Sie haben ja aber auch sowieso keinen Termin, oder?« Dies formulierte sie als Frage für den Fall, dass er sich mit ihr anlegen wollte.
»Nein, habe ich nicht -« Jury warf einen kurzen Blick auf das metallene Namensschildchen auf dem Schreibtisch. »- Grace.« Bei Vornamen schalteten solche Leute gewöhnlich eine Stufe herunter. Ihre Augenbrauen arbeiteten sich nach oben, erstaunt, was er sich für Freiheiten herausnahm. »Das hier ist einfach ein dringender Termin.« Einnehmend lächelnd schob er ihr seinen Dienstausweis hin. »New Scotland Yard, Kriminalpolizei.«
Sie stieß ihren Sekretärinnenstuhl zurück und stand auf. Immer noch frostig sagte sie: »Ich sehe mal nach, ob er jetzt mit Ihnen sprechen kann.«
»Das würde ich ihm doch stark raten.« Es klappte nie so recht, wenn Jury sich um einen bedrohlichen Tonfall bemühte. Immer versteckte sich dieser Schalk dahinter.
Sie trat an eine Flügeltür zu ihrer Linken, aus Kirschholz und mehrere Zentimeter dick. Sie stieß sie auf, und er hörte, wie sie der Person in dem behaglichen Büro dahinter etwas zumurmelte. Dann wandte sie sich um und zog beide Türen auf – beide Türen … ein dramatischer Auftritt. Nachdem sie wieder hineingetreten war, hörte er sie etwas murmeln, bevor sie sich umdrehte und ihn hereinwinkte.
Viktor Baumann erhob sich und trat hinter seinem Schreibtisch hervor, um Jury die Hand zu schütteln. »Freut mich, dass man Flora bei der Polizei nicht vergessen hat. Und besonders bei Scotland Yard. Sie ist jetzt seit drei Jahren verschwunden. Ich will Ihnen natürlich behilflich sein, so gut ich kann. Bitte, Superintendent, setzen Sie sich doch.« Baumann ließ sich wieder
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