Karneval der Toten
auf seinem Schreibtischstuhl nieder, der wie einer von diesen Bauhaus-Freischwingern aus Aluminium und Leder aussah und so leicht war, dass man fast meinte, er könnte sich in die Luft erheben.
Noch ein mit umwerfenden Designermöbeln ausstaffiertes Büro, jedoch geräumiger als das Vorzimmer. Jury konnte sich vorstellen, dass die Gemälde nicht nur Originale waren, sondern auch von ihm unbekannten zeitgenössischen Künstlern stammten.
»Ich arbeite im Morddezernat, Mr. Baumann.« Als Baumann erschrocken auf seinen Stuhl zurücksank, bemerkte Jury seinen Irrtum gleich und fügte rasch hinzu: »Nein, Verzeihung, es geht gar nicht um Ihre Tochter. Es geht um den Mord an einer Frau. Wir haben allerdings noch keine Spur, der wir nachgehen können.« Er holte das Polizeifoto hervor und reichte es ihm über die Tischfläche hinüber.
Nachdem er einen kurzen Blick darauf geworfen hatte, wandte Baumann sich ab. »Tut mir Leid. Ich bin etwas zimperlich, wenn’s um Tote geht. Und ich weiß auch nicht, was das mit mir zu tun hat.«
»Vermutlich gar nichts. So wie es aussieht, hatte diese Frau aber etwas mit Ihrer damaligen Ehefrau zu tun.«
»Mit Mary? Wie meinen Sie das?«
Die Erwähnung von Declan Scotts Namen wollte Jury bei dieser Unterredung tunlichst vermeiden. »Man hat sie zusammen beim Tee in Brown’s Hotel gesehen. Nach den Worten Ihrer Exfrau handelte es sich um eine alte Schulkameradin.« Jury ließ Baumann nicht aus den Augen, um zu sehen, wie er reagierte. Kein leichtes Unterfangen bei einem Menschen, der es sich angewöhnt hatte, bei Geschäftsverhandlungen keinerlei ungewollte Regungen zu zeigen. Das Geschäft, stellte Jury sich vor, konnte dadurch entweder glücken oder scheitern. Seine Verwicklung in diesen Todesfall wäre ebenso schwierig nachzuweisen wie bei dem durchtriebensten Schurken.
»Sie sagen aber doch, davon abgesehen könnten Sie keine Verbindung zwischen dieser Frau und meiner Exfrau finden?«
»Bisher jedenfalls nicht.« Er hatte das Foto direkt vor Baumann auf den Tisch gelegt.
Baumann sagte: »Ich fürchte, ich kann Ihnen da nicht weiterhelfen, Superintendent.«
»Sind Sie sicher, dass Sie sie noch nie gesehen haben?«
Baumanns Lächeln wurde ziemlich unfreundlich. »Ganz sicher. Das Gesicht ist ja nicht gerade besonders einprägsam, was meinen Sie?«
Das klang ganz schön kaltblütig, fand Jury. »Vielleicht nicht.«
»Es stand doch davon in der Zeitung, nicht wahr? An ein Foto von dem Gesicht kann ich mich zwar nicht erinnern, aber an das Verbrechen. Ziemlich schauerlich, was? Ein Landsitz mit einer Leiche im Garten?«
Auch er schien Declan Scotts Namen nicht nennen zu wollen. »Schauerlich in der Tat. Das war die Entführung Ihrer Tochter aber auch, die ja immerhin auf diesem Landsitz lebte. Und der Tod ihrer Mutter. Auf Declan Scotts Anwesen passieren eigentlich viel zu oft schreckliche Dinge.«
»Ah.« Baumann entspannte sich etwas und griff nach einem Briefbeschwerer. Offensichtlich nahm er fälschlicherweise an, Jury sei auf seiner Seite. Oder zumindest nicht auf der von Declan Scott. »Dann schlage ich vor, Sie nehmen es mal genauer unter die Lupe, Superintendent.« Er lächelte verschlagen.
»Das tue ich auch, Mr. Baumann.« Baumanns verblüfften Blick ließ er unkommentiert.
»Sie haben aber doch angedeutet, dass Scott bei dem allem eine Rolle spielt.«
»Sicher spielt er eine Rolle dabei. Das muss aber nicht heißen, dass er die Sache inszeniert hat. Welchen Grund hätte er denn haben sollen, Ihre Tochter Flora zu kidnappen?«
Baumann schwieg.
»Bei Ihnen dagegen«, fuhr Jury fort, »könnte man durchaus ein Motiv erkennen. Sie waren mit Floras Mutter in einen Sorgerechtsstreit verwickelt. Declan Scott wollte das Kind adoptieren -«
»Superintendent, Flora war – ist – meine Tochter. Ist denn irgendetwas bedenklich an der Tatsache, dass ich sie bei mir haben will?«
»Nein, außer dass sie verschwunden ist. Darum geht es doch, nicht? Dass Sie sie vielleicht so unbedingt bei sich haben wollten, dass Sie sie raubten.«
Baumann wirkte nun gar nicht mehr entspannt. »Es geht also überhaupt nicht um die ermordete Frau. Sie sind gar nicht wegen ihr hier. Es geht wieder um Flora.«
»Der Grund meines Besuches war nicht Flora, sondern dieser neue Mordfall. Ich glaube aber, dass zwischen den beiden eine Verbindung besteht, Mr. Baumann. Mir scheint einfach, dass der Mord an einer Fremden ausgerechnet dort, wo Ihre Tochter verschwunden ist, kein Zufall sein kann.
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