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Karneval der Toten

Titel: Karneval der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Grimes
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hörte gar nicht mehr zu und beobachtete Cyril, der inzwischen an seinem Lieblingsplätzchen über Racers Schreibtisch hockte, der Stelle, von der aus er schon viele Dreipunktlandungen auf verschiedene Teile des Schreibtischs vollführt hatte. Jetzt saß er da, leckte sich die Pfote und wartete eine günstige Gelegenheit ab.
    Wie oft musste Jury es noch sagen? Dieser Mensch hatte Taubendreck auf den Ohren. »Sir, bei dem vermissten -« oder toten, fügte Jury lieber nicht hinzu »- Kind handelt es sich um Viktor Baumanns Tochter. Sie war damals vier Jahre alt. Das war einer der Gründe, weshalb ich in das Haus in der Hester Street gegangen bin: um zu sehen, ob er sie dort festhielt.«
    »Was? Sein eigenes Kind ?« Racer wischte ungehalten mit der Hand durch die Luft, die Handflächen von sich gestreckt, als wollte er Jury und dessen krankhafte Ideen auf Abstand halten.
    »So was gibt es.«
    »In Amerika gibt es so was. Hier doch nicht.«
    Der segensvolle Fleck, dies Reich, dies England.
    Na, von wegen.
     
    Johnny Blakeleys Büro war in West End Central, wo ein Teil des Dezernats für Sexualdelikte untergebracht war. Dorthin hatte man Irene Murchison gebracht. Im Verlauf der letzten sechsunddreißig Stunden war sie immer wieder in einem der Vernehmungsräume gewesen. Sie konnten sie wegen einer ganzen Latte von Anklagepunkten festhalten. Sie sei »Abschaum«, sagte Johnny. Worauf Johnny es aber abgesehen hatte, war das Eingeständnis, dass Viktor Baumann den ganzen Laden aufgebaut hatte.
    »In diesen Scheißladen«, erfuhr Jury eine Stunde später bei einem Drink im Crown, »kamen Viktors Freunde – genau so hat sie es mir zwar nicht gesagt, aber ist doch klar, oder? ›Sehr wählerische Herren‹. Ihre Worte. Die redet daher wie frisch aus einem Roman von Galsworthy entsprungen, was aber, möchte ich gleich hinzufügen, nicht ihrem wahren Milieu entspricht.«
    »Diese ›Herren‹ – das waren also die ›Kunden‹? Ich bin heute etwas schwer von Begriff, ich komme nämlich gerade aus Racers Büro.«
    Johnny kicherte. »Viktors Kumpane, was? Der Kinderschänderring. Ich will Namen, Mann. Wie kommt es, dass diese Frau den Kopf dafür hinhält, Richard?«
    »Das tun Frauen doch immer schon.«
    »Mann, die ist doch bestimmt zwanzig Jahre älter als er.«
    Jury zuckte die Achseln. »Sie ist eine Schlüsselfigur in seinem Leben. Sie sorgt dafür, dass das Ganze glatt läuft, dass die Mädchen nicht aus der Reihe tanzen.« Wohl eher, dass sie verängstigt und unterwürfig bleiben. Es wollte Jury nicht aus dem Kopf gehen, wie totenstill es in dem Zimmer gewesen war. Dieses unwirkliche Schweigen. Kein Kind sollte so durch Angst zum Schweigen gebracht werden. »Sie macht das alles ja nicht wider besseres Wissen, sondern weil es ihr gefällt. Es gefällt ihr sehr gut.« Jury trank sein Bier vollends aus.
    Johnny machte dem Barmann ein Zeichen, hielt zwei Finger in die Höhe. Der Barmann nickte. »Sie wird ihn nicht verpfeifen, Rich«, meinte er.
    »Sie hat aber zugegeben, dass sie ihn kennt.« Jury beobachtete ein etwas plan- und zielloses Billardspiel zwischen einem über und über tätowierten Mann und einem anderen mit den Fingern eines Musikers. Der Musiker schlug die grüne Kugel in eine Tasche. Vereinzelter Applaus. Er musste an Wiggins und Cody Platt denken. »Ich habe Ihnen jetzt doch nicht etwa alles vermasselt, Johnny?«, fragte er.
    Der Barmann strich den Schaum von Johnnys Guinness. »Meine Güte, nein«, sagte Johnny. »Sie und der Cowboy aus Cornwall haben ungefähr das gemacht, woran ich mir schon seit Monaten die Zähne ausbeiße. Na ja, und jetzt sind wir soweit.« Johnny lächelte übers ganze Gesicht und hob sein Bierglas, als wollte er ihm zuprosten.
    Cowboy. Jury lächelte und hob sein Glas ebenfalls.
     
    Als Jury das Labor betrat, sprach Phyllis Nancy gerade in das Mikrofon, das über dem Tisch in der Mitte des Raumes aufgehängt war. Blut rann von der Leiche in eine Rinne und von dort in einen verchromten Eimer. Das kalte blaue Licht aus einer unbestimmten Lichtquelle verlieh dem Ort eine Atmosphäre, dass man sich wie im Weltall vorkam. Als wäre Phyllis eine Außerirdische von höherer Intelligenz, die an einem Erdling eine Autopsie durchführte.
    Ihre Hände waren voller Blut, doch ihr weißer Kittel war rein und sauber wie spiegelglattes Eis. Er fragte sich, wie sie das bloß hinkriegte. Doch dann fiel ihm wieder ein: Phyllis kannte sämtliche Parameter, die Grenzen, die Einschränkungen. Es

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