Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Karneval der Toten

Titel: Karneval der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Grimes
Vom Netzwerk:
Eimer.«

WEISSE KREUZE

44
    Wenn er gleich in der Frühe losfuhr, konnte er noch am selben Tag wieder zurück sein, vielleicht sogar mit dem gleichen Zug, den er vor ein paar Tagen genommen hatte.
    »Es geht um Dickie«, hatte Brendan am Vorabend gesagt. Dickie war sein sechzehnjähriger Sohn, der soweit Jury wusste, bisher noch nie in Schwierigkeiten gewesen, auf jeden Fall noch nie von der Polizei aufgegriffen worden war. Oder doch, und Jury hatte es nur nicht erfahren? »Auf dem Revier in Washington Wallsend halten sie ihn fest. Sein Chef behauptet, er hätte geklaut. Das ist der Vorarbeiter in der Tortenfabrik. Okay, der Junge hat ein paar Torten mitgehen lassen, für den Geburtstag von einem Freund, sagte er, aber meine Güte, ist das denn ein Grund, gleich die Bullen einzuschalten?«
    Jury erinnerte sich, einmal an der Tortenfabrik vorbeigefahren zu sein. Sah sauber aus, hochmodern, eine Menge Arbeitsplätze für die Ortsansässigen. Brendan hatte ihm einmal erzählt, die Angestellten lebten in ständiger Angst, dass der auswärtige Besitzer, ein fieser, launischer Mensch mit einem Alkoholproblem, die Fabrik womöglich dichtmachte, doch die hielt sich offenbar über Wasser. Er sagte Brendan also zu, am nächsten Tag nach Newcastle zu kommen. Um elf wäre er dort. Ob Brendan ihn am Hauptbahnhof abholen könne?
    »Na, klar. Danke – das ist wirklich toll von dir, Richard. Ich weiß doch, wie viel du zu tun hast.«
    »Nicht so viel, als dass ich dir nicht helfen könnte, Brendan.«
    Das war wahrscheinlich die Haltung, die er schon die ganze Zeit hätte einnehmen sollen.
     
    Mit dem Acht-Uhr-Dreißig-Zug traf er um elf Uhr sechsunddreißig in Newcastle ein, wo Brendans Wagen vor dem Bahnhof schon auf ihn wartete. Jury stieg ein, und Brendan fing sofort an zu reden.
    »Sollen wir gleich direkt zum Polizeirevier fahren?«
    Jury überlegte einen Augenblick und sagte dann: »Nein. Wir schauen uns erst mal die Tortenfabrik an. Vielleicht kann ich kurz mit diesem Frank sprechen – wie hieß er noch gleich?«
    »Frank Vinson. Ich weiß nicht, ob er Vorarbeiter oder Geschäftsführer ist oder was, aber jedenfalls leitet der den ganzen Laden. Der Besitzer dagegen ist ein echter Scheißkerl. Alkoholiker, nimmt auch Drogen. Ich hab ihn dort drüben mal in einem Pub getroffen. Zum Glück wohnt er in London. Dickie sagt, es ist allgemein bekannt, dass der mit Drogen zu tun hat und so.«
    »Du hast mir schon mal von ihm erzählt. Weißt du, wie er heißt?«
    »Finnegan.« Brendan steuerte den Wagen um eine Kurve auf die Brücke. Er warf Jury einen kurzen Blick zu. »Verdammt, müssen es immer alles Iren sein?«
    Jury lachte.
     
    Die Fabrik lag zwischen Washington, dem Dorf, und Old Washington. Jury erinnerte sich, sie schon einmal gesehen zu haben, damals an jenem Tag, als er Helen Minton begegnet war. Er war auf dem Weg nach Newcastle daran vorbeigefahren. Es war ein lang gestrecktes, niedriges, ziemlich gut erhaltenes Gebäude, in dem Backwaren für Delikatessenläden wie Waitrose hergestellt wurden. Wie es hieß, behandelte man die Mitarbeiter gut.
    Dieser Fall, befürchtete Jury, war allerdings kein gutes Beispiel dafür. »Bleib du im Auto, Brendan. Von dir würde sich Frank im Moment sicher bedroht fühlen.«
    Brendan nickte.
    Eine der Arbeiterinnen, eine fröhlich wirkende Frau mit Plastikhaube, die gerade Rauchpause machte, führte Jury zu Frank Vinsons Büro.
    Frank Vinson, ein ziemlich großer, kräftiger Mann, wirkte eigentlich recht freundlich, hatte aber einen messerscharfen Blick, von dem sich ein armes Bürschchen wie Dickie bestimmt nicht gern fixieren lassen wollte. Frank legte einen entschiedenen Mangel an Begeisterung für Bullen an den Tag, was angesichts seiner Verbindung mit Schurken vom Schlage Finnegans kaum überraschte. Jury hätte gewettet, dass Vinson seit frühester Jugend immer mal wieder in der Besserungsanstalt gelandet war. Er stammte aus London und konnte diesem Teil des Landes vermutlich nicht allzu viel abgewinnen. Für einen lebhaften Londoner war der Tyne-und-Wear-Distrikt wahrscheinlich das reinste Sibirien.
    Jury verschwieg ihm, dass er nicht dienstlich hier war, und ließ Vinson in dem Glauben, Scotland Yard interessiere sich aus einem unerfindlichen Grund für Dickie Malloy. Aber wieso um alles in der Welt?
    Jury blieb ihm die Erklärung schuldig. »Werden Sie denn von irgendjemandem unter Druck gesetzt, Mr. Vinson?«, fragte er stattdessen.
    Frank Vinsons messerscharfer Blick fuhr

Weitere Kostenlose Bücher