Karneval der Toten
zu Jury herum und fixierte ihn kurz. »Weiß nich, was Sie meinen.« Mit einer Heftigkeit, die eher zur Feuerwehr passen würde, die die in Flammen stehende Fabrik zu löschen versuchte, zündete er sich am Stummel der einen Zigarette eine neue an.
»Von irgendjemandem schon, glaube ich«, sagte Jury. »Vielleicht von Finnegan? Gab’s irgendwelche Einbußen, Fehlposten? Irgendetwas in der Richtung?«
Frank zog eine Schreibtischschublade auf und nahm eine Flasche hochwertigen Mutmacher heraus. Rémy Martin. Dann förderte er ein Stumpenglas zutage, schenkte ein und kippte es hinunter. »Also, wenn’s Ärger mit den Büchern gibt, da bin ich nich dran schuld.« Er beugte sich fast vertraulich zu Jury hin und wiederholte es eindringlich. »Da bin ich nich dran schuld.«
Als wollte er die Lage taxieren, blickte Jury sich im Büro um, nickte unmerklich, schüttelte den Kopf und nickte wieder. Dann meinte er: »Also, sagen wir mal so, Frank: dass Dickie Malloy dran schuld ist, glaube ich eigentlich auch nicht. Ehrlich gesagt habe ich den Eindruck, dass hier alles Mögliche vor sich geht, Sie nicht? Meiner Meinung nach ist keiner von Ihnen beiden dran schuld. Es wäre viel einfacher für alle Beteiligten, Sie ziehen die Anzeige gegen den Jungen einfach zurück. Dann besteht auch kein Grund, die Sache weiter zu verfolgen. Sie verstehen, Frank?« Jury lächelte.
»Hmm, ja… also.« Noch eine Zigarette, noch einen Schuss Rémy, dann willigte Frank ein.
Jury stieg ein. »Keine Sorge, Brendan. Der hat kapiert, was es geschlagen hat.«
»Was? Was hat er denn gesagt?«
»Er zieht die Anzeige zurück. Und jetzt fahren wir zum Revier. Dort kenne ich einen Detective Sergeant, oder kannte ich früher mal.«
Brendan strahlte übers ganze Gesicht, als er den Wagen anließ. »Mann, jetzt sag schon, was du zu dem gesagt hast!«
»Nichts.«
Was im Grunde genommen ja eigentlich stimmte.
Auf dem Polizeirevier Washington Wallsend erkundigte sich Jury, ob Sergeant Roy Cullen noch dort arbeitete, was man bejahte, nur dass der jetzt Detective Inspector Cullen hieß. Dann wurde Jury in den hinteren Teil des Büros verwiesen, wo Cullen saß und telefonierte. Er beendete das Gespräch, als Jury sich auf den Stuhl neben seinem Schreibtisch fallen ließ.
»Schön, Sie wiederzusehen, Inspector. Die Beförderung haben Sie sich verdient.«
»Ach was, Mann, das ist jetzt fast zehn Jahre her. Wenn ich nicht befördert worden wäre, hätte ich hier nichts wie schleunigst die Fliege gemacht.«
Jury lachte. »Stimmt, aber das ist normalerweise kein Grund für eine Beförderung.«
Cullen kaute so gemächlich und bedächtig auf seinem Kaugummi herum wie damals, als er noch Detective Sergeant Cullen gewesen war und es sich entschieden verbeten hatte, dass Scotland Yard die Nase in die Angelegenheiten der Polizei von Northumbria steckte. Jetzt war ihm die Geschichte mit den gestohlenen Torten jedoch kaum ein Kopfnicken wert – immerhin, er war schließlich Detective Inspector. Er nickte zum Telefon hinüber. »Ich hatte gerade Frankie Vinson am Apparat, der mir mitteilte, er würde die Anzeige gegen Richard Malloy vollständig zurückziehen. Ist ja nett.« Und in einem recht unnetten Ton an Jury gewandt meinte er: »Haben Sie sich ein bisschen mit ihm unterhalten?«
»Nicht der Rede wert. Ach, jetzt hören Sie aber auf, Roy. Jemand, wahrscheinlich Finnegan, setzt Frank gewaltig unter Druck, also setzt der eben den armen Jungen unter Druck. Was ist, können wir den Knaben jetzt mit nach Hause nehmen?«
Cullen zuckte gleichgültig die Achseln. »Von mir aus.«
Dickie Malloy, ein dünner, schlaksiger Junge mit traurigen Augen, schlotterte erst vor Angst, bis er merkte, dass Jury den Wachtmeister begleitete, der ihm die Zelle aufschloss.
»Onkel Richard! Wo kommst du denn her? Was ist los?«
»Dein Dad wartet, Dickie. Los, gehen wir.«
Im Auto drehte Jury sich nach hinten zu Dickie um und musterte ihn streng. Dickie schäumte vor Erleichterung förmlich über. »Also, Dickie, hörst du – keine Tortenpartys mehr, okay?«
Dickie nickte erleichtert.
Lachend ließ Brendan den Wagen über eine Rüttelschwelle rumpeln. »Dass die Polizei schnell handelt, hab ich noch nie erlebt, aber das ging ja wirklich ruck, zuck.«
»Oh, wir können in der Tat ganz schön schnell sein«, sagte Jury. »Und jetzt fahr mich zum Hauptbahnhof zurück, ja?«
Im Büfettwagen erstand er eine Tasse Tee, die genauso schlecht schmeckte wie die Tasse
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