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Karneval der Toten

Titel: Karneval der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Grimes
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»Ich wette damit.« Als Jury sich einverstanden erklärte, fügte der Junge hinzu: »Und wenn Sie im falschen Zug sitzen, fahren Sie dann jetzt einfach weiter?«
    Interessante Frage! »Bleibt mir ja nichts anderes übrig, oder? Das hier ist jedenfalls der Swansea Express.«
    Der Junge war Feuer und Flamme. »Express« – das war etwas, woran er sich so richtig schön festbeißen konnte. Er klang nun fast streitlustig. »Wieso schicken die einen Expresszug nach Swansea? Die Stadt ist doch gar nicht groß genug.«
    »Woher weißt du das? Ich wette, du warst noch gar nie dort.«
    Das brachte den Jungen vorerst zum Schweigen. Ihm fiel keine Antwort ein. Doch er würde sich nicht unterkriegen lassen. Schließlich hatte er sich klar für London entschieden.
    »Wieso bist du dir eigentlich so sicher, dass ich mich irre und du Recht hast?«, wollte Jury wissen. »Hast du etwa die Fahrkarte gekauft?«
    »Ich? Ach, i wo. Die hat Mum gekauft. Ich hab gehört, wie sie London sagte.«
    »Na ja, dann ist es vielleicht die richtige Fahrkarte, aber doch der falsche Zug.« Der Junge musterte ihn argwöhnisch. Erneut fand Jury es interessant, dass er seine Mutter nicht um Hilfe bat. Es konnte sein, dass er sie nicht bekam, oder er bekam sie, aber in verdrießlichem Ton. Es konnte jedoch auch sein, dass es dem Jungen heimlich Spaß brachte, nicht hundertprozentig zu wissen, wohin der Zug fuhr. Seine kleine gerunzelte Stirn und die tiefblauen Augen lehnten sich gegen diese Ungewissheit auf, aber nicht so, dass er sich an jemanden gewandt und gefragt hätte (den lesenden Mann vielleicht? Die ältere Dame mit dem Strickzeug?), um sich ein für allemal Klarheit zu verschaffen. Ihm gefiel einfach die erfundene Geschichte, es gefiel ihm, dabei mitmachen zu dürfen. Kinder mochten diesen leichten Nervenkitzel: auf einem Jahrmarkt in einem kleinen Boot zu sitzen, das sich durch einen Tunnel der Schrecken schlängelt – und wo einem Skelette entgegenspringen und verwunschene Gestalten mit hell erleuchteten Köpfen auftauchen – ja, ein Kind würde bereitwillig seine fünfzig Pence oder sein Pfund berappen, um sich wohlig schöne Angstschauer einjagen zu lassen.
    Am Gesichtsausdruck des Jungen konnte Jury jedoch erkennen, dass der sich der Sache mit London immer unsicherer wurde. Er ging auf die andere Seite des Gangs, um sich den Kontrollabschnitt von der Fahrkarte zu holen, den der Schaffner über dem Sitzplatz angebracht hatte. (Die Mutter beachtete ihn immer noch nicht.) Er betrachtete ihn und steckte ihn stirnrunzelnd wieder hin. Denn er wusste (wie Jury ja gesagt hatte), dass sich mit der Fahrkarte nichts beweisen ließ.
    Am anderen Ende des Gangs hatte der Imbissverkäufer gerade sein Wägelchen ins Abteil gerollt. Das war die Gelegenheit! Der bleiche Jüngling würde bestimmt wissen, wohin dieser zwielichtige Zug sie brachte! Der Junge beobachtete ihn, und sein Gesicht wurde so bleich wie das des Verkäufers.
    Jury sagte: »Du musst den Gang freimachen, damit er durchkommt. Du kannst dich ja da hinsetzen.« Er deutete auf den Sitzplatz ihm gegenüber.
    Die Einladung wurde angenommen. Der Junge wandte sich immer wieder um und betrachtete das Teewägelchen, das recht schnell vorankam, weil nicht viele Fahrgäste im Abteil saßen. »Willst du einen Tee oder Kekse oder sonst irgendwas?«, fragte Jury.
    Der Junge verneinte kopfschüttelnd und biss sich immer noch verlegen auf die Lippe. Als das Teewägelchen fast auf ihrer Höhe war, stand er rasch auf und trat, dem Schicksal den Rücken zuwendend, ans Fenster.
    Der Verkäufer blieb stehen. Freundlich und höflich listete er die Angebote auf, und Jury sagte: »Ich nehme ein KitKat. Nein, geben Sie mir zwei KitKats. Danke.« Er bezahlte, und das Wägelchen fuhr weiter. Der Junge verharrte noch eine Weile am Fenster, wo außer der Dunkelheit nichts zu sehen war. Es sei Vollmond, verkündete er dann und setzte sich wieder auf seinen Platz.
    Er bedankte sich bei Jury für den Schokoriegel und wartete ab, was Jury mit seinem anstellen würde. Jury riss das Papierchen ein Stück auf, und der Junge tat es ihm nach. Beide nahmen einen Bissen. Jury verlor kein Wort über den Imbissverkäufer, doch der Junge lehnte sich über den Sitz und verdrehte den Hals, um dem Teewägelchen nachzusehen, bis es verschwunden war.
    »Ich hätte ihn fragen sollen!« Zu spät. »Der hätte es gewusst.«
    Jury lächelte. Denn mittlerweile hatte Swansea sich im Kopf des Jungen festgesetzt.
    »Was gibt’s dort? In

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