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Karneval der Toten

Titel: Karneval der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Grimes
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»Also, pass auf. Die Polizei muss manchmal Züge umleiten, die ursprünglich woanders hinfahren sollten.«
    Joeys Augen und Mund waren so rund wie der Mond. Unsicher fragte er: »Sie meinen, zum Beispiel nach Swansea? Unser Zug sollte eigentlich nach Swansea?«
    Jury nickte. »Schon möglich. Behalte du also dein Auto, und ich behalte mein Geld, und dann werden wir sehen, wie dieses Spiel ausgeht.« Er zog sein kleines Notizbuch hervor und zückte den Kugelschreiber. »Wie heißt du mit Nachnamen?«
    »Holden«, stieß Joey hastig hervor.
    Jury lächelte und musste an Cody Platt denken. Holden Caulfield – der Fänger im Roggen. Er schrieb den Namen auf und sagte: »Wenn ich den wahren Endbahnhof dieses Zuges herauskriege, melde ich mich. Das klären wir schon noch, keine Sorge.« Während sie zusammen den Gang entlanggingen, legte Jury die Hand auf Joeys Schulter. »Mach dir keine Sorgen, das Spiel geht weiter.«
    Da fiel Joey aber ein Stein vom Herzen! Ein breites Lächeln erhellte seine traurige Miene, als sie zusammen ausstiegen. Dann zerrte Joeys Mum ihn ungeduldig mit sich fort, und Joey zupfte sie alle paar Schritte an der Hand, um sich nach Jury umzudrehen und zu winken.
    Da erinnerte sich Jury wieder, wie die Frau auf dem Empfang nach der Beerdigung gesagt hatte: »Sie war bloß Ihre Cousine. Hätte schlimmer sein können.«
    Schlimmer? Nein, etwas Schlimmeres gibt es nicht, außer vielleicht auf dem Mond. Und bevor der nächtliche Himmel vom Bahnhof King’s Cross verdeckt wurde, hob Jury den Blick und dachte an die Zugkraft des Mondes, an das Zurückweichen der Fluten, an den Ort, an dem das Schlimmste eintreffen konnte.
    Weit vorn war der Junge nur noch als Strichmännchen zu sehen. Dann blieb das Männchen stehen, winkte mit der kleinen Hand. Jury winkte zurück.
    Und dann wusste er es plötzlich.

45
    »Das ist unmöglich«, sagte Macalvie, nachdem er eine Weile geschwiegen hatte.
    »Glaube ich nicht.« Jury hatte Macalvie gleich angerufen, als er wieder in Islington war.
    »Aber Declan Scott hätte es doch sicher -?«
    »Nein, nicht unbedingt. Denken Sie an Lena Banks. Scott hatte keine Ahnung, wer sie war.«
    »Stimmt. Aber er hatte sie auch seit über einem Jahr nicht mehr gesehen.«
    Am anderen Ende der Leitung wandte sich Macalvie vom Telefon ab, um jemandem Anweisungen zu geben. Dann war er wieder dran und sagte: »Das könnten die doch unmöglich durchhalten. Nicht über all die Zeit.«
    »Ich glaube schon.«
    Wieder verfiel Macalvie in Schweigen. Das war während dieses Telefongesprächs jetzt schon das dritte Mal. Für Macalvie bestimmt ein Rekord.
    »Ich bin morgen früh wieder in Cornwall«, sagte Jury. »Und bringe Cody mit.« Jury lächelte.
    »Was haben Sie vor?«
    »Lassen Sie das mal meine Sorge sein.«
    »Und was ist mit Cody?«
    »Lassen Sie das mal unsere Sorge sein. Meine, schließlich habe ich ihn da mit hineingezogen.«
    »Als ich mit ihm gesprochen habe, hörte er sich aber gar nicht so an, als wäre er mit ›hineingezogen‹ worden. Der redete eigentlich daher, als wäre es seine absolute Sternstunde gewesen.«
    »War es vielleicht auch.«

46
    Pete Apted saß in seinem großzügig in Rosenholz, Mahagoni und Leder ausgestatteten Büro und verzehrte gerade einen Apfel. In Hemdsärmeln, die Füße auf dem Schreibtisch und ohne Schlips sah er eher aus wie der Promoter einer Rockgruppe als wie ein richtiger Anwalt. Sich zum Ritter schlagen zu lassen, hatte Pete Apted abgelehnt, denn das (behauptete er) hätte ihn nur unnahbar erscheinen lassen.
    »Sie sind aber doch unnahbar«, hatte Jury einmal zu ihm gesagt, »außer für ein paar von uns tapferen Seelen und die Anwälte, die Ihnen die Fälle vermitteln.« Pete Apted hatte er dank der Großzügigkeit von Jenny Kennington kennen gelernt (dieses Kapitel würde jedoch geschlossen bleiben, was ihn sehr schmerzte), die Apted damals zu Jurys Verteidigung in einer absurden Mordklage engagiert hatte. Und Apted wiederum hatte Lady Kennington in einer Klage verteidigt, die mitnichten absurd war.
    Pete Apted schleuderte den Apfelbutzen in Richtung eines Papierkorbs, der zu ebendiesem Zweck strategisch platziert war. Als der Butzen darin landete, stieß Apted siegesfreudig die Arme in die Luft. »Ich stelle ihn nämlich immer ein Stückchen weiter weg.« In einer Anwandlung von Anstandsgefühl nahm er die Füße vom Schreibtisch. »Superintendent, Sie tauchen aber auch immer völlig unerwartet auf. Um wen geht es denn diesmal? Um Sie? Die

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