Karneval der Toten
Dame? Keinen von beiden?«
»Ganz recht.« Jury lächelte. »Wenngleich ich gewissermaßen in die Sache involviert bin, aber nicht in der Rolle des Kriminellen. Es handelt sich um ein Mädchen namens Samantha Burns. Sie hat eine Fünfjährige erschossen.«
Pete Apted war zwar durch nichts zu schockieren, einiges konnte bei ihm aber doch einen recht bekümmerten Gesichtsausdruck hervorrufen. »Wenn Kinder Kinder umbringen! Wird das hier allmählich zur allgemeinen Freizeitbeschäftigung?«
»Sie hat außerdem einen Zuhälter namens Eddie Noon erschossen. Und mir übrigens dadurch das Leben gerettet.«
»Gut für sie. Dann gilt ihr mein ganzes Mitgefühl.«
»Es gibt ein Haus in der Hester Street, das von einer gewissen Murchison geführt wird. Geführt wurde , sollte ich wohl besser sagen, denn sie sitzt inzwischen in Untersuchungshaft.« Er erzählte Apted die Geschichte.
Pete Apted sah ihn eine Zeitlang schweigend an und sagte dann: »Diese kleinen Mädchen, wo sind die jetzt?«
»Um die kümmert sich vorerst das Jugendamt.« Jury hoffte, man würde die Mädchen beisammen lassen, bis für jedes von ihnen eine dauerhafte Lösung gefunden worden war, was er allerdings für nicht sehr wahrscheinlich hielt.
»Wie lange war Samantha in diesem Haus?«
»Seit sie neun oder zehn war.«
»Dann gilt ihr mein noch größeres Mitgefühl. Und was ist mit Ihnen?«
»Ich bin dort ohne Durchsuchungsbefehl hinein.«
»Ah? Das war aber sehr schlau.«
Jury beugte sich zu Apted hin. Wie immer hatte er das Gefühl, sich ihm gegenüber rechtfertigen zu müssen. »Dieses Haus steht schon seit langem unter Beobachtung. Ein Detective Inspector namens Blakeley vom Pädophiliedezernat bemüht sich, genügend Beweismittel für eine Hausdurchsuchung zusammenzukriegen. Als das kleine Mädchen erschossen wurde, stand für ihn fest, dass es nur jemand aus diesem Haus gewesen sein konnte. Einmal gelang es Blakeley sogar, sich Zutritt zu verschaffen, an der Murchison kam er aber nicht vorbei. Der Laden wird sehr, sehr streng geführt.« Jury lehnte sich zurück. »Ich bin reingekommen.«
»Ohne Durchsuchungsbefehl. Von dem, was Sie dort herausgefunden haben, wird bei Gericht nichts, aber auch gar nichts zu verwenden sein. Das ist Ihnen ja wohl klar.«
»Natürlich. Wichtig war mir vor allem, die Kinder da herauszuholen.«
»Äußerst dringliche Umstände.«
»Die ›Umstände‹ herrschten dort aber schon sehr lange vor.«
»Das konnten Sie aber nicht wissen.« Apted nahm sich wieder einen Apfel aus der Tüte, stand auf und schob den Papierkorb noch ein Stückchen weiter weg.
47
Lulu, die Roy immer wieder einen Ball hinwarf, traf sich mit Jury zwischen dem Springbrunnen und den von Melrose schön mit Rasenplaggen belegten Treppenstufen. Roy sprang voraus. »Hallo«, rief sie. Sie deutete auf das Päckchen, das Jury in der Hand hielt. »Was ist das?«
»Mr. Plants Gartenwerkzeug. Die Black Diamond Baum- und Heckenschere.«
Als sie hörte, dass es sich um ein Werkzeug handelte, verlor sie schnell das Interesse. Sie ergriff Jurys Hand. »Ich habe gerade beim Gärtchenbepflanzen mitgeholfen.«
»Nein, hast du nicht, du und Roy, ihr habt doch Ball gespielt.«
Sie tat das Ballspielen als unerheblich ab. »Ach, das war bloß so zwischendurch. Kommen Sie.« Sie zog ihn an der Hand, und zusammen steuerten sie auf den kleinen Geheimgarten zu. »Sehen Sie mal!« Sie deutete auf ein tief violettblaues Stiefmütterchen. »Das habe ich als Erstes gesetzt, weil es am meisten Farbe hat. Und dann das und das und das.« Sie zeigte nacheinander auf die blasseren Töne, bis hin zu einem Lavendelton.
Die armen unschuldigen Stiefmütterchen, dachte Jury. Erbarmungslos waren sie herumgeschoben worden. »Ein sehr hübsches Arrangement, aber meinst du nicht, Mr. Plant sollte sich an seinen eigenen Entwurf halten dürfen – schließlich ist er der Experte?«
»Nein.« Lulu sah Jury mit einem Blick an, als hätte sie von ihm eigentlich mehr erwartet. »Bei ihm sind die Farben völlig gemischt. Hinlegen, Roy.«
Der Hund beachtete sie überhaupt nicht, sondern musterte die beiden unablässig mit heraushängender Zunge.
Jury setzte sich auf die Bank und verschränkte die Arme. »Sag mal, Lulu, konntest du Flora gut leiden?«
Mit gesenktem Kopf schob Lulu das Erdreich um die Stiefmütterchen mit der Schuhspitze umher. Sie nickte. »Das haben Sie mich schon mal gefragt.«
»Ich weiß. Aber vielleicht hast du es dir ja anders überlegt.«
Sie sah ihn
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