Karneval der Toten
von meinem Pferd herunterzusteigen. Typisch Mr. Momaday.«
Jury fütterte Aggrieved mit einem Stückchen Würfelzucker, und weil ihm der Schimmel Leid tat, der so einen aufgeblasenen Blödmann herumtragen musste, gab er ihm auch gleich noch eines.
»Aber sagen Sie, Mr. Strether, was führt Sie denn nach Long Piddleton?«
»Ich sehe mich um.«
»Das sehe ich. Aber worin besteht Ihre Mission im größeren, erweiterten Sinn?«
Strether sah ihn verständnislos an, dann begriff er. »Ach, Sie meinen, wieso ich hier im Dorf bin? Ich halte Ausschau nach Immobilien.«
Jury sah Melrose vielsagend an und deutete mit dem Kopf hinauf in Richtung Hügel.
»Tatsächlich?«, sagte Melrose. »Hier gibt’s aber gar nicht viel zum Investieren, bis auf das Pub dort oben, das eigentlich glänzend lief, bis es dicht machte.«
Strether blickte in die ungefähre Richtung. »Warum hat es denn dicht gemacht, wenn es so gut lief?«
»Der Besitzer ist umgesiedelt«, erwiderte Jury mit einem Kichern.
»Dann sollte ich es mir vielleicht mal ansehen.«
»Vielleicht sollten Sie das«, sagte Melrose. »Es heißt Man with a Load of Mischief.«
»Interessant.«
»Die Renovierung, die könnte eventuell etwas kostspielig sein, da es so lange unbewohnt war.«
»Ach, das tut nichts zur Sache. Nein, der Preis ist kein Problem. Ich besitze schon viele Immobilien.«
»Was ist denn das für ein Bursche?«, fragte Melrose, als er am Nachmittag mit Jury an Miss Broadstairs Kater Desperado vorbeikam, der oben auf ihrem Gartenmäuerchen schlief. Melrose stupste ihn an, und mit zuckendem Schwanz fuhr der Kater hoch.
Jury sagte: »Wer weiß, jedenfalls nicht das, was er behauptet. Das Jackett saß schlecht, die Manschetten waren ausgefranst, und haben Sie seine Schuhe gesehen?«
»Nein, Sherlock, habe ich nicht.«
»Die Absätze total abgetreten. Würde mich nicht wundern, wenn er Zeitungspapier reingestopft hätte, um die Löcher zu kaschieren.«
»Was wollte er denn?«
»In Ardry End? Den Laden ausbaldowern, vermute ich.«
Melrose blieb am Teich stehen, wo die Enten hin und her flitzten. »Soll das etwa heißen, ich werde demnächst ausgeraubt?«
»Jetzt regen Sie sich mal nicht so auf. Er schaut sich wahrscheinlich bloß um und will sehen, wer ein paar Kröten hat, damit es sich für ihn lohnt.«
Melrose konnte nicht ganz folgen. »Wozu?«
»Ich vermute, er ist ein Betrüger. Ein ›vertrauenswürdiger Herr‹, sozusagen.«
Sie überquerten die Straße. »Moment. Ich hatte ja den Wettbewerb ganz vergessen! Strether, ja, das ist doch der, der den Henry-James-Wettbewerb angeregt hat.«
Jury blieb stehen und schaute über das Kopfsteinpflaster zu dem alten Wirtshausschild und der mechanisch betriebenen Jack-Figur hinüber. Deren Beinkleider hatten einen neuen Anstrich mit türkisblauer Farbe bitter nötig. »Verstehe. Der Henry-James-Wettbewerb. Wissen Sie, so was passt zu Ihren Gefährten.« Beim Weitergehen fragte er: »Tun die eigentlich auch einmal etwas Konstruktives?«
»Natürlich nicht. Das tut keiner von uns.« Melrose winkte Miss Crisp auf der anderen Straßenseite zu, die gerade einen weiteren Stuhl vor ihrem Gebrauchtmöbelladen aufstellte. Der lag direkt gegenüber von Truebloods Antiquitätengeschäft und bildete einen hübschen Gegensatz. »Und hören Sie auf, von ihnen zu reden, als wären es nicht auch Ihre Gefährten.«
Jury lächelte. »Oh, meine sind es auf jeden Fall.«
Sie betraten den Jack and Hammer, wo Jury herzlich begrüßt wurde, zuerst von Dick Scroggs und dann von den Leuten am Fenstertisch. Diane Demorney stellte sogar ihren Martini lang genug ab, um Jury einen gingeschwängerten Kuss zu geben. Vivian Rivington versuchte es ihr nachzutun, scheiterte jedoch und verpasste seine Wange um ein paar Zentimeter, da sie sich über den Tisch beugen musste. Sie sah Jury verträumt an, als hätte er ihr soeben einen Arm voll Rosen zu Füßen geworfen. Aus Vivian wurde man immer nicht so recht schlau.
»Sie kommen gerade rechtzeitig, um die Beiträge zu bewerten. Melrose hat Ihnen ja von unserem kleinen Wettstreit erzählt. Oder wollen Sie selbst auch was einreichen?«
Trueblood stellte die Frage so ernst, dass Jury lachen musste. »Ich fürchte, ich habe nicht genug Henry James gelesen.«
»Nicht genug gelesen ?«, kommentierte eine verblüffte Diane, die das Wort behutsam auszukosten schien, als habe sie so etwas Giftiges wie ein Stück Kugelfisch im Mund. »Lieber Gott, Sie glauben doch nicht, wir hätten
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