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Karneval der Toten

Titel: Karneval der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Grimes
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ausgebucht.«
    Jury war müde. Und morgen war Freitag und das hieß die Rückfahrt nach London und dann am Samstag nach Newcastle.
    Er überlegte nicht lange, ob es professionell war oder nicht, die Gastfreundschaft eines Zeugen oder Tatverdächtigen zu akzeptieren. Er war todmüde. Oder vielleicht kam die Müdigkeit von Declan Scotts betrübter Stimmung, die sich wie ein Joch auf Jurys Schultern gelegt hatte. Jedenfalls nahm er das Angebot zur Übernachtung dankend an. Er würde Cody anrufen und sagen, er solle ihn morgen früh in Angel Gate statt im Dorfgasthof in Launceston abholen.
     
    Jury sah aus seinem Zimmerfenster in die Nacht hinaus und dachte an Declan Scott, dem es so schwer fiel, die Vergangenheit ad acta zu legen. Die zahllosen Erinnerungen an das, was er verloren hatte, lähmten ihn nicht. Vielleicht gehörte er zu den Menschen, die im Erinnern eher etwas Heilendes als etwas Angstbesetztes erlebten. Auf ihn wirkte es tröstlich, sich mit Dingen zu umgeben, die sie berührt oder gehört oder getragen oder aus denen sie getrunken hatte. Würde man Scotts Geisteshaltung womöglich für krankhaft halten, weil er in diesem Haus voller Geister lebte?
    Jury tat es nicht. Wenn die Vergangenheit so ziemlich das Einzige war, was man hatte, wieso sollte man sich dann ihrer entledigen? Jury versuchte, ihn sich mit einer neuen Wohnung und neuen Freunden vorzustellen. Denn darin, dachte er, täuschte man sich: zu glauben, man könnte wieder ganz neu anfangen und auf den Trümmern des alten Lebens ein neues aufbauen. Kein Wunder, dass er sich in die schöne Georgina Fox verguckt hatte. Doch was sollte man als Baumaterial hernehmen, wenn man nur verbranntes Holz und zerbrochenen Gips hat?
    Im Zimmer war es zwar kalt gewesen, doch bald zog das Feuer, das jemand in dem großen Kamin gemacht hatte, Feuchtigkeit und Frostkälte aus der Luft. Daran dachte er später, in seinem Zimmer, dessen hohes Fenster nach vorn hinaus zeigte, über den Wald und die Allee oder was dort gewesen war und nun zwischen Laub, Gras, Farnen und mitgenommen aussehenden Hecken verschwand. Er dachte an die weißen Kreuzchen. Er musste Declan Scott unbedingt fragen, was sie zu bedeuten hatten.
    Er war so müde, dass er bestimmt sofort in Tiefschlaf fallen würde. Das tat er aber nicht, sondern lag lange wach, machte die Augen zu und wieder auf und ließ die Szenen, die er sich mit Mary und Flora und Declan Scott ausgedacht hatte, wie einen Film vor seinem geistigen Auge ablaufen.
    Und er dachte an die geheimnisvolle Frau. Bei ihr blieb der Film hängen, bei der Toten auf der Steinbank. Ein Kommentar, eine Botschaft, vielleicht sogar eine Warnung. Doch er hatte keine Ahnung, was es bedeuten könnte, und während er noch versuchte, daraus schlau zu werden, schlief er ein.

11
    Am nächsten Morgen traten sie durch die Terrassentür hinaus und gingen die ziemlich baufällige Treppe hinunter zum Fußweg und der Bronzeplastik mit den kleinen Knaben. Der Weg verlief von den steinernen Stufen bis in den rückwärtigen Teil des Gartens.
    »Wenn’s nach mir ginge, würde ich alles so lassen, wie es ist.«
    »Wieso wird es dann geändert? Das ist doch ein enormes Stück Arbeit.«
    »Weil Mary den Garten so haben wollte, wie er früher einmal gewesen war«, erwiderte Declan, als würde damit alles erklärt, nicht bloß ein verwildertes Gartengrundstück. »Ich habe Warburton und die Macmillans damit beauftragt – dort unten ist der alte Macmillan.« Er deutete auf eine kleine, gedrungene Gestalt, die an einem der Beete auf halber Höhe mit Graben beschäftigt war. »Alles hier soll wieder zum Leben erweckt werden – wie einst. Mary wollte es so. Diese Treppe, die wir gerade heruntergekommen sind...?« Declan blickte sich über die Schulter um.
    »Von den Terrassenstufen herunter, meinen Sie?«
    »Ja. Die sind jetzt ein bisschen bemoost und rutschig, hatten aber früher einmal eine richtige, passend zugeschnittene Grasnarbe. Die waren ganz mit Gras bedeckt. Es klingt vielleicht lächerlich, aber so hätte ich es gern wieder.«
    Jury sah hinter sich auf die Stufen, vier auf jeder Terrassenebene. »Sie könnten sich doch einfach ein paar Rasenstücke besorgen, oder? Diese Dinger, die man bei Neubauten hernimmt, um den kahlen Erdboden zu bedecken?«
    »Nein, mein Landschaftsspezialist meinte, es muss eine ganz bestimmte Sorte sein. Und dazu bräuchte ich jemanden mit, wie er sich ausdrückte, ›intimer Kenntnis von Rasenplaggen‹. Sie verfügen nicht

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